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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst
Autoren: Howard Jacobson
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bei ihren Schnittverletzungen am Finger helfen. Immer würde ich zu schwach sein.
    Aber man muss stark sein, oder? Wenn die eigene Frau das hat, was Marisa hatte.
    Aus einem spontanen Impuls heraus, der mich selbst überraschte und entsetzte, begab ich mich auf die Suche nach Marius. Nicht, weil ich wollte – jedenfalls nicht bewusst –, dass er das Starksein für mich übernahm, sondern weil ich fand, dass er Bescheid wissen sollte. So legte ich es mir jedenfalls zurecht.
    Und wenn man es ihm längst gesagt hatte? Wenn er just in dem Moment, als meine Blumen überbracht wurden, an Marisas Bett saß? Wenn er ihr von unserem Gespräch erzählte, oder wenn sie gemeinsam überlegten, wohin sie fliehen sollten, wenn sie wieder gesund war?
    Die Fragen waren mir unangenehm. Ich fand sie den Umständen nicht angemessen. Tod und Begehren mochten eng miteinander verknüpft sein bei mir, wie bei jedem Perversen, aber der Tod hatte auch ein Recht, sich einen eigenen Raum zu erobern. Manchmal muss man den Tod einfach nur in Ruhe lassen.
    Marius öffnete nicht auf mein Klingeln, und als ich in dem Knopfgeschäft nach ihm fragte, hieß es, er sei weg.
    Â»Weggegangen?«
    Â»Nein, weggezogen. Gestern hat ein Immobilienmakler Fotos von der Wohnung gemacht.«
    Mein Herzschlag setzte aus.
    Â»Wissen Sie, wohin er gezogen ist?«, fragte ich. Wenn die Verkäuferin jetzt Richmond sagte, würde ich die Beherrschung verlieren. Aus Angst davor, die Regale mit den Knopfschachteln umzustoßen, wenn ich in Ohnmacht fiel, hielt ich mich an einem der Tische fest.
    Das Mädchen, das meine Fragen beantwortete, hatte ich vorher noch nie hier gesehen. Sie war neu hier. Alle in London waren neu hier. Sie rief in die hinteren Räume des Ladens, eine Stimme erwiderte: »Ich glaube, Shropshire. Er sagte, er würde wieder dahin zurückgehen, wo er vorher gelebt hat. Ich bin mir sicher, dass es Shropshire ist. Ja, genau, Shropshire. Er hat uns eine Nachsendeadresse dagelassen, wenn Sie sie haben wollen. Sind Sie ein Freund?«
    Ein Freund? Absurd. Ich kam mir vor wie die letzte Ratte auf einem sinkenden Schiff.
    *
    Ich wurde Eremit.
    Ich schloss die Fenster, zog die Vorhänge zu und wartete auf Nachricht. Hätte ich auf Instruktionen gewartet, ich hätte mich nicht passiver verhalten können.
    Jede Erinnerung an ein Begehren verblasste. Und mit der Erinnerung jede Vorfreude auf ein Begehren. Die Hinterlassenschaft des Cuckolds, der seinen Partner anderen überlässt: Danach kommt nichts mehr. Freudlos und schändlich, daran zurückzudenken, was ich auf der Höhe meines gottlosen Entzückens für Marisa empfand, als sie in gesunder Blüte stand; freudloser und noch schändlicher gar, ihr zu wünschen, sie möge wieder gesund werden, damit sie mir diese Lust erneut bereiten konnte. Und wenn nicht sie, wer dann? Wen könnte ich neben ihr begehren? Welche Form der Erotik kam der unsrigen auch nur annähernd gleich?
    Ja, ich dachte zu viel an mich selbst. Aber jeder Tag begann mit dem Gedanken an Marisa. Jeden Morgen fasste ich den festen Entschluss, nach Richmond zu fahren. Ich würde über den Zaun klettern, der das Haus meiner Schwägerin umgab; oder ich würde einen Angriff vom Wasser aus unternehmen, Flops’ Haus ging zur Themse hinaus; wer sollte mich daran hindern, einen Kahn oder ein Motorboot zu chartern und Marisa mit einem Megafon zu rufen? Oder die Hauswände zu erklimmen und sie mit Gewalt zu befreien? Über den Entschluss kam ich nie hinaus. Die Tatsache, dass ich mir solche absurden Übergriffe ausmalte, bewies nur, wie absurd mir jegliche Aktion vorkam. Alle Pläne, die ich mir ausdachte, endeten in einer Farce. Ich war schon immer der Ansicht, dass alle komischen Helden der Literatur notgedrungen Anhänger von Sacher-Masoch waren. Der Figur de Sades oder dem sadistischen Impuls ist noch nie eine Komödie entsprungen. Grausame Satire, das schon, aber Satire ist nicht das Gleiche wie Komödie. War der Beweis für die Harmlosigkeit des Romans – ich spreche vom klassischen Roman, den ich besonders schätze – nicht die Bereitschaft des Autors, seinen Helden als Clown zu zeichnen? Nicht, um ihn mit seiner Clownerie zu strafen, sondern um darin zu schwelgen. Keiner der großen Clowns, der nicht im Grund seiner Seele Masochist war, und nur wenige folglich keine Cuckolds. Warum also war ich nicht bereit, die Logik
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