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Ewiger Schlaf: Thriller

Ewiger Schlaf: Thriller

Titel: Ewiger Schlaf: Thriller
Autoren: Greg Iles
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    E ve Sumner erschien am ersten Herbsttag. Nicht am kalendarischen Herbstanfang – nichts an Eve war regelkonform –, sondern am ersten Tag, an dem die Luft so kalt war, dass sie durch den Stoff von John Waters’ Hemd drang. Es war kühl genug, um eine Jacke zu tragen, doch Waters verzichtete darauf, weil es so lange unglaublich heiß gewesen war, weil die Luft nach Metall schmeckte und sein Herz schneller schlug, angetrieben vom Temperaturumschwung und dem verringerten Druck auf seiner Haut, wie bei einem Höhenwechsel. Seine Schritte waren leichter, der Wind trug ihn vorwärts, und tief in seiner Brust regte sich etwas, so wie die Hirsche sich tief in den Wäldern regten und die Blätter an den Zweigen flatterten. Schon bald würden die Jäger den Hirschen zwischen den Eichen auflauern und sie erlegen, und die Blätter würden zu Haufen zusammengekehrt und verbrannt, doch am heutigen Tag war noch alles offen, verharrte in einem Augenblick der Erwartung oder einem Atemholen. Und mit dem ersten Ausatmen kam Eve Sumner.
    Sie stand an der gegenüberliegenden Seitenlinie des Fußballfeldes, zu weit entfernt, als dass Waters sie richtig sehen konnte. Zunächst nahm er sie auf die gleiche Weise wahr wie all die anderen Väter: als Silhouette, die seinen Blick auf sich zog – weibliche Kurven und eine Mähne dunklen Haares, die bei den Müttern zu beiden Seiten des Fußballfelds irrationale Verärgerung hervorrief. Aber mehr bemerkte Waters nicht. Er hatte keine Zeit; er trainierte die Mannschaft seiner Tochter.
    Die siebenjährige Annelise rannte über das Meer aus Gras und warf sich, die Blicke fest auf den Ball geheftet, zwischen achtjährige Jungen, die beinahe doppelt so groß waren wie sie. Waters trabte am Spielfeldrand neben den Mannschaften her und feuerte sein Team an. Er bewegte sich leicht und geschmeidig für sein Alter und seine Statur – er hatte vor einem Jahr die vierzig überschritten und war gut einsfünfundachtzig groß – und lief schnell genug, um am nächsten Morgen Muskelkater zu bekommen. Aber er mochte dieses Gefühl. Es zeigte ihm, dass er immer noch voller Schwung war. Stolz beobachtete er Annelise: Letztes Jahr war seine Tochter noch ein schüchternes kleines Mädchen gewesen, das sich fürchtete, dem Ball zu nahe zu kommen, doch seit diesem Jahr, seit ihr Vater Trainer war, hatte sie gewaltig an Selbstvertrauen gewonnen. So jung sie auch war – sie lernte jetzt schon Lektionen, von denen sie im späteren Leben profitieren konnte.
    »Der Ball ist aus!«, rief Waters. »Blau hat den Ball.«
    Während das gegnerische Team den Ball zum anderen Ende des Fußballfelds spielte, fühlte Waters fremde Blicke auf sich ruhen wie Finger auf der Haut. Er wurde beobachtet, und das nicht nur von den Kindern und deren Eltern. Als Waters zum gegenüberliegenden Spielfeldrand schaute, sah er direkt in die Augen der dunkelhaarigen Frau. Sie waren tief und dunkel wie ihr Haar, blickten klar und zielgerichtet. Waters wandte rasch den Blick ab, doch das Bild hatte sich in sein Hirn eingebrannt: dunkle, wissende Augen, die sich mit Männerseelen auskannten.
    Noch stand es unentschieden, und Waters wusste, dass die Spielzeit bald um sein würde. Brandon Davis, der achtjährige Spitzenspieler seiner Mannschaft, führte den Ball mit den Fußspitzen, kontrollierte ihn geschickt, fädelte ihn sicher durch die Beine der Gegner. Waters sprintete an der Seitenlinie los, um zu Brandon aufzuschließen. Annelise lief dicht hinter Brandon und versuchte, sich in Position zu bringen, damit er sie anspielen konnte, sobald sie sich dem gegnerischen Tor näherten. Als Brandon einen kraftvollen Schuss aufs Tor abgab, sprintete Annelise instinktiv nach rechts. Der Ball prallte von den Schienbeinen des Torhüters ab, zurück zu Brandon. Er wollte schon ein zweites Mal schießen, als er Annelise auf der rechten Spielfeldseite sah. Er schlenzte den Ball in ihre Schusslinie – womit er zeigte, dass er zu den wenigen Jungen gehörte, die es auch genießen können, indirekt an einem Erfolg beteiligt zu sein. Annelise war beinahe zu überrascht von Brandons Selbstlosigkeit, um zu reagieren, doch im allerletzten Moment schoss sie den Ball am Torhüter vorbei ins Netz.
    Ein Freudenschrei ging durch die Zuschauermenge. Waters hörte, wie die Stimme seiner Frau alle anderen übertönte. Er wusste, dass er Annelise eigentlich nicht bevorzugen sollte, aber er konnte nicht anders: Er rannte aufs Feld und drückte sie an seine
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