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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst
Autoren: Howard Jacobson
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Menschen neben uns.
    Liebe hemmungslos, und aller Schmerz steht dir offen.
    Ein Gedanke freilich, den ich seinerzeit in der Form noch nicht artikuliert hatte, da ich die Frau, die meine Peinigerin werden sollte, noch nicht kennengelernt, noch nicht geheiratet und noch nicht Herz und Verstand an sie verloren hatte. Marisa kam später, doch habe ich in dem vegetativen Dunkel, das ihr vorausging, nie gezweifelt, dass meine Haut in Vorbereitung auf eine wie sie dünner wurde. Im Nachhinein ist man immer klüger, und Marisa kann als die Erfüllung meiner Sehnsüchte gelten, als die Frau, für die ich mich aufgehoben habe. Trotzdem waren meine Liebesbeziehungen, bevor ich sie kennenlernte, selbstverständlich nie nur vorläufige. Jedes Mal, wenn ich Herz und Verstand verloren hatte, glaubte ich, es sei für immer. Kaum jedoch hatte ich mein Gleichgewicht wiedererlangt, wusste ich, dass die Frau, die mich wirklich fertigmachen, der ich mit Haut und Haaren verfallen würde, wie ich zuvor noch nie jemandem verfallen war, die Frau, die einen Besessenen aus mir machen würde, noch irgendwo auf der Welt herumlief und auf ihre Vollendung wartete, so wie ich auf meine. Daher rührte vermutlich mein Interesse an Marius, noch bevor ich die Rolle, die er bei diesem Prozess der Vollendung spielen sollte, voll erfasste. In ihm dürfte ich das pornografische Komplement meiner noch unausgegorenen Gelüste erkannt haben.
    An seinem Verhalten während der Beerdigung ließ sich unmöglich ablesen, ob er zu den nächsten Angehörigen zählte oder nicht. Er hatte etwas traurig Schmollendes, mit einem Schal um den Hals und pechschwarz gewandet wie Hamlet; doch obwohl er der Witwe – einer mir Unbekannten, der wie einer gefallenen Frau aus einem viktorianischen Roman der Ruch eines uralten, schmählichen Skandals anhaftete – auffällig Beistand leistete, hatte ich nicht den Eindruck, dass er der Sohn des Verstorbenen war. Sein Kummer, so es denn Kummer war, war von anderer Art. Wenn ich es in ein Wort fassen müsste, würde ich sagen, es war Missgunst, als wäre er der Meinung, die Trauernden weinten um den Falschen. Es gibt Männer, die sind eifersüchtig auf Beerdigungen und wünschen sich, sie stünden statt der Toten im Mittelpunkt; als solcher Typ Mann erschien mir Marius.
    Ich kannte den Verstorbenen und hatte geschäftlich ein wenig mit ihm zu tun gehabt. Er war Literaturprofessor mit einer großen Bibliothek, und ich war aus London angereist, um ihren Wert zu schätzen. Unsere Verhandlungen führten zu keinem Ergebnis. Die Bibliothek war schlecht geführt, und die Bücher zerfielen zu Staub, noch ehe ich einen Preis ermittelt hatte. Es war ein eher zufälliges Ereignis, denn eigentlich wollte sich der Professor gar nicht von seinen Büchern trennen, ganz gleich in welchem Zustand sie sich befanden. Er war ein rührender Mensch, wie aus Zeit und Raum gefallen, der mit der Piepsstimme eines Mäuschens gegen die Grausamkeiten des Lebens protestierte. Ein vom Leben Enttäuschter, und nun auch vom Tod. Doch hatte ich ihn nicht so gut gekannt, dass ich mich bei Familie oder Freunden nach dem Schwarzen Prinzen hätte erkundigen können, und aus eigenem Antrieb seine persönliche Bekanntschaft zu suchen, stand außer Frage. Er war so hartnäckig gegen Augenkontakt und Annäherung durch andere Personen abgeschirmt wie die Leiche.
    Als ich ihn später beobachtete, in dem kleinen geheizten Gemeindezentrum des Dorfes, in das wir nach dem Trauergottesdienst, windgeduckt wie die Schösslinge, marschiert waren, fragte ich mich, ob vielleicht das trübe Wetter schuld an seiner Erscheinung am Grab gewesen war – so wenig in sich gekehrt war er jetzt, seines Mantels, seines Schals und, wenn mich nicht alles täuschte, der Witwe entledigt. Heiter wäre zu viel gesagt, aber er war auf lebhafte Weise unnahbar und nicht mehr nur unnahbar. Von ihm schien ein kaltes Feuer auszugehen, wie Funken von einer Wunderkerze.
    Er war hübsch, wenn man große, falkenartige Männer als hübsch bezeichnen kann. Als Mann, der selbst nichts Raubtierhaftes an sich hat, fühlte ich mich durch ihn eingeschüchtert. Aber das gehört ja zum Hübschsein dazu: dass man anderen Furcht einflößt.
    Er stand an einem Tisch mit Würstchen und Fleischpasteten, versperrte anderen den Weg und flirtete eisig mit zwei hündchenhaften Mädchen, die
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