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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst
Autoren: Howard Jacobson
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angeschnitten haben – der Grund, warum einem das Herz wehtut, warum jedem auf diesem Planeten vor Mitleid mit dem dahinscheidenden Tag das Herz wehtut, wenn er in den Armen des Verlangens versinkt. Comprenez?«
    Ich sagte ihm nicht, dass ich die Geschichte mit dem blöden Schmetterling in- und auswendig kannte, schönen Dank auch, dazu war ich viel zu sehr ergriffen von seiner Diktion. »Ihr Weltbild scheint das eines unverbesserlichen Romantikers zu sein«, entgegnete ich, um zu zeigen, dass ich selbst auch einen gewissen Stil pflegte. Doch da hatte er sich längst von der Bank erhoben. Es war kein Zug in Sicht, aber er wollte sicherstellen, dass er, wenn es so weit war, ihn nicht in meiner Gesellschaft bestieg.
    *
    Man mag es kaum glauben, aber Marius fuhr nach London, um mit einigen Leuten ein paar Dinge zu klären, und einer derjenigen, mit denen er etwas zu klären hatte, war ich. Nicht mit mir persönlich, sondern als Geschäftsinhaber.
    Bedenkt man, dass sein Auftrag mit dem Tod im Zusammenhang stand, der uns bereits verband, war das schon weniger zufällig. Ich meine nicht sein Thanatos-Gefasel, ich meine den Todesfall, der mich nach Shropshire geführt hatte. Der Professor, so schien es, war schon einige Zeit krank gewesen und hatte im Verlauf dieser Krankheit zunehmend an geistiger Umnachtung gelitten. Er war der festen Überzeugung, jemand habe die kostbarsten Bücher aus seiner Bibliothek gestohlen. Er hatte ein Tagebuch geführt, das alle nötigen Informationen enthielt, um die Diebe, die nachts aus London angereist waren und alle Bücher, derer sie habhaft werden konnten, in einen Umzugswagen geschafft hatten, zu entlarven. Sie hatten ihn nicht gefesselt oder ihm etwas zuleide getan, aber ihn unter Drohungen davor gewarnt, ja nichts zu unternehmen, das ihre Flucht gefährden würde. Zum Glück hatte er immerhin die Geistesgegenwart besessen, den Namen des Mannes zu notieren, der den Wagen fuhr. »Felix Quinn: Antiquarische Buchhandlung.« Die Tatsache, dass der Eintrag in seinem Tagebuch auf einen Termin hinwies, den er persönlich mit Felix Quinn vereinbart hatte, und der nachfolgende Eintrag das Treffen als »in einer Hinsicht sehr zufriedenstellend« beschrieb, legte eine andere Deutung dieser Geschichte nahe. Doch diejenigen, die sich um ihn sorgten – im Nachhinein – und möglicherweise um ihr Erbe fürchteten, hielten es für das Beste, die Sache aufzuklären; ein bisschen zu früh, so kurz nach der Beerdigung, aber darüber wollte ich mir kein Urteil erlauben. Menschen vom Lande sind nun mal argwöhnischer als wir gemeinen Stadtbewohner.
    Was nun diejenigen betraf, die sich um ihn sorgten, so waren das seine Frau, die einst mit einem sehr viel jüngeren Mann davongelaufen war – einem Lieblingsstudenten des Professors –, und ebendieser jüngere Mann, der niemand anderes war als Marius.
    Nichts von alldem war, wie gesagt, ein Zufall, außer dass einer meiner Angestellten, Andrew – der mit Marius verhandelte, als dieser am Montagmorgen im Geschäft erschien –, ihn noch aus dem Studium kannte. Ich war gerade nicht da, als Andrew und Marius ihre Bekanntschaft erneuerten, aber man erzählte mir, das sei so freundschaftlich verlaufen wie eine Begegnung mit Marius nur sein konnte. Zerknirscht, aber überzeugt, dass man dem alten Herrn seine George Macdonalds und Christina Rossettis nicht abgeluchst hatte, zog Marius wieder ab. Danach ging Andrew – ein kurzatmiger Bücherwurm mit einem Pferdeschwanz, den endlich abzuschneiden ich ihm jedes Mal nahelegte, wenn er wieder so lang geworden war, dass ich um die Sicherheit meines Angestellten fürchtete, sobald er die Bibliotheksleiter betrat – in einem kürzlich eröffneten neuseeländischen Restaurant in der High Street mit mir essen und fand sich bereit, mir alles zu erzählen, was er über Marius wusste.
    Marius war mit ihr, der Frau des Professors, durchgebrannt, das war noch das Pikanteste. Zwar sagt man durchgebrannt, man meint aber eigentlich nur, dass Paare anderswo eine gemeinsame Wohnung beziehen. Bei diesem Paar jedoch konnte man tatsächlich von Durchbrennen sprechen; er war zwanzig, sie fünfzig. Und die Geschichte, die ich durch eigene Nachforschungen noch mit der Farbe versehen habe, an der es Andrews notwendigerweise knapper Zusammenfassung mangelte, ging so:
    Sie war die Frau eines emeritierten Professors,
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