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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst
Autoren: Howard Jacobson
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der Liebe in seiner Seele freudig zu empfangen: Die Angst vor Betrogenwerden konnte genauso mächtig sein wie die Angst vor dem Tod; Eifersucht, die sich bis ins Knochenmark hineinfraß; eine panische Furcht vor Verlust, die kein noch so großes Maß an Vertrauen zu lindern vermochte. Verlust – Verlust, der so sicher auf Gewinn folgte wie der Tag auf die Nacht, so denn je wieder Tage auf Nächte folgen sollten. Man liebte nicht nur in der Erwartung, den anderen zu verlieren, sondern um zu verlieren – so hatte ich es aus meinen Lieblingsbüchern gelernt, und jetzt, da ich es an der Wirklichkeit erprobt hatte, wusste ich, dass sie recht hatten. Man liebte, um zu verlieren, und je mehr man liebte, umso mehr verlor man. Angst und Eifersucht waren keine Spaltprodukte der Liebe, sie waren die Liebe an sich.
    Der Fluss aus geschmolzenem Honig strömte durch meinen Körper, als hätte er dort sein natürliches Bett gefunden und würde es niemals verlassen.
    Wie gut, dass es wenigstens etwas gab, das mich niemals verlassen würde.
    *
    Nach der Beerdigung fuhr ich nicht wie geplant mit dem Zug zurück nach London. Aus einer Eingebung heraus blieb ich in Much Wenlock. Obwohl es Samstagabend war, verspürte ich keine Lust, in die Stadt zu fahren. Ich bestellte Sandwichs und aß sie im Hotelzimmer. Alles in dem Hotel war schief. Die Sandwichs rutschten vom Tablett. Meine Bierflasche rutschte vom Nachttisch. Und um zu verhindern, dass auch ich noch aus dem Bett rutschte, musste ich mich an der Matratze festhalten.
    Aber die Schrägheit passte zu meiner Stimmung. Ich war ziemlich durcheinander.
    Sonntägliche Kirchenglocken weckten mich. Höhnisches Sonnenlicht fiel durch die Gardinen ins Zimmer. Der alte Mann war unter der Erde, jetzt konnte das Leben wieder beginnen. Ich beschloss, den Sonnenschein auszunutzen, vermutlich den einzigen, den Shropshire in den nächsten tausend Jahre zu sehen bekam, und zog mich rasch an. Ich wollte frühstücken, aber nicht das Risiko eingehen, dass mir mein Spiegelei auf den Schoß rutschte, also begab ich mich auf die Suche nach einem Café. Danach bummelte ich ein bisschen durch die Stadt, sah mir das Kloster an, die Fachwerkhäuser und entdeckte schließlich ein paar Buchhandlungen, solche, wie ich sie gerne aufsuche, schon aus Prinzip, wenn ich mal außerhalb von London bin. Selten finde ich etwas Wertvolles, aber ich versäume es nie, ein, zwei Bücher zu kaufen, als Ausdruck meiner Empathie. Von allen erwähnten Formen vorzeitiger Grablegung ist der Buchhandel in der Provinz die erbärmlichste. Die Buchhändler sitzen hinter ihren Holztischen und tun, als würden sie lesen – obwohl sie ihren gesamten Bestand in- und auswendig kennen –, und tragen ihre seltenen Verkäufe mit einem stumpfen Bleistift in ein Hauptbuch ein. Wie leicht könnte ich so dasitzen, denke ich jedes Mal, hätten meine Vorfahren nicht kluge Weitsicht bewiesen und entschieden, dass unser Schicksal in Marylebone liegt, Londons Stadt in der Stadt. Felix Quinn: Antiquarische Buchhandlung – in der dezenten Anmaßung unseres Namens schwingt, wie ich meine, das Selbstbewusstsein einer Familie mit, die sich niemals vorstellen konnte, nicht in fußläufiger Reichweite zu haben, worauf Leib und Seele angewiesen sind: Kunstgalerien, Konzertsäle, gute Restaurants, Wein- und Käsehändler, Krankenhäuser und Bordelle.
    Andere müssen reisen, um solche Bedürfnisse zu befriedigen, wir brauchen nur die Hand auszustrecken.
    Ja, es war sogar einer der wiederkehrenden anrüchigen Scherze meines Vaters, das Glück seines Alters bestehe einzig darin, dass er nur die Hand auszustrecken brauche, um einer Frau unter den Rock zu greifen. Wohlgemerkt, nicht dem meiner Mutter.
    Nachdem ich die Regale der Buchhandlungen abgesucht und tröstende, um nicht zu sagen herablassende Worte an die glücklosen Besitzer gerichtet hatte, brauchte ich erst mal ein Mittagessen. Es war nach drei Uhr, als ich vor der Shrewsbury Station dem Taxi entstieg. Alle Züge hatten Verspätung. Verärgert stapfte ich bis ans Ende des Bahnsteigs auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit in der Sonne und überlegte, ob ich mich mit den Leuten anlegen sollte, die Plätze mit ihren Gepäckstücken okkupierten. Rucksackträger sind immer die Schlimmsten. Wanderer! Masochisten, die meinen, sie hätten einen gesunden Geist. Schließlich
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