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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst
Autoren: Howard Jacobson
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davon einigen toten. Dies rührt, teilweise jedenfalls, von einer ausführlichen und möglicherweise allzu zweckbestimmten Lektüre einer besonderen Kategorie klassischer Romane her (englischen, französischen, russischen etc.), deren Thema die Demütigung ist. Ich wäre geneigt zu fragen, ob es überhaupt andere Kategorien des klassischen Romans gibt. Aber ich akzeptiere, wenn auch mit Verwunderung, dass manche Leser Bücher aufschlagen, um sich von außergewöhnlichen Ereignissen verzaubern oder von prosaischen Heldentaten anrühren zu lassen. Ich muss ohne ein Faible für Heldentum oder Krimis auf die Welt gekommen sein.
    Mir ging es bei meiner Lektüre immer nur um eins: um Liebe und um Liebesleid.
    *
    Die Liebe quälte mich.
    Ich mache keinen Unterschied zwischen Literatur und Leben. Bei den Geschichten, die ich als Frühreifer verschlang, fühlte ich mich unweigerlich zu den schmerzvollen hingezogen – zu den Nöten des jungen Werther und des älteren Alexej Alexandrowitsch Karenin, zur empfindsamen, jungenhaften Reizbarkeit eines Julien Sorel und zur zutiefst weiblichen, kontemplativen Traurigkeit einer Anne Elliot. Im Leben war es für mich nicht anders. Ich kam liebeskrank auf die Welt – voll unerwiderter Gefühle, hochsensibel, rasend eifersüchtig, mit einer morbiden Sehnsucht, mein Herz zu verschenken, lange bevor da jemand war, an den ich es hätte verschenken können.
    Dass auch ich verschmäht, vor Gram vergehen würde wie die Heldinnen und Helden in meinen Büchern, daran zweifelte ich nie.
    Das erste Mädchen, das ich mit Fug und Recht als meine Freundin bezeichnen konnte – das erste Mädchen, deren Finger ich zwischen meine flechten durfte –, betrog mich schon bei unserer zweiten Verabredung. Wir gingen zusammen ins Kino, und zweieinhalb Stunden später verließ sie es mit einem anderen. Wie und wo sie ihn aufgetrieben hatte, da scheinbar nur sie und ich in der Dunkelheit saßen und ich ihre Hand keine Sekunde losließ; was sie in ihm sah, als sie ihn ohne Licht wer weiß wo fand; warum sie ihn mir vorzog; was mir fehlte, oder was ich falsch gemacht hatte, das ihr Verhalten und die Grausamkeit, es mich so deutlich spüren zu lassen, hätte erklären können – ich wusste es nicht. Ich war fünfzehn, sie ebenfalls. Sie hatte welliges schwarzes Haar, Augen wie eine Wahrsagerin und lange schlanke, braune Arme, die sich in meiner Fantasie zweimal um mich schlangen. Sie hatte vorher schon geküsst, ich nicht. Aber sie stammte aus einer Lehrerfamilie – ihr Vater unterrichtete an der Royal Academy of Music –, und sie hatte gesagt, sie würde mir gerne das Küssen beibringen. Jetzt brachte sie es leider jemand anderem bei, das und noch mehr.
    Wochenlang stellte ich mich nach der Schule vor ihr Haus, in der Hoffnung, sie würde sich umstimmen lassen, ihren Fehler erkennen, durch ein Gespräch oder schon durch meinen bloßen Anblick; aber sie zeigte sich nie, nicht mal am Fenster. Ich hoffte darauf, dass wenigstens ihr Vater mal herauskommen würde. Als Cellolehrer hätte er bestimmt meine Verzweiflung verstanden, aber auch er kam nie. Schließlich erschien ein Mädchen, wahrscheinlich Faiths Schwester, vor dem Haus, um mir die Situation zu erklären. »Faith sagt, dass sie jetzt mit Martin zusammen ist. Du möchtest bitte nach Hause gehen und sie in Ruhe lassen.«
    Ich stellte meine Schultasche ab, als wollte ich dort Wurzeln schlagen. Was erwartete ich? Dass sich die Erde auftat und mich verschlang? Dass Faith die Worte ihrer Schwester zurücknahm? Einen Blick auf Martin, der mir wenigstens vor Augen führte, was mir fehlte?
    Die Schwester war vermutlich vom Anblick verschmähter Liebe gerührt, denn sie schlug einen versöhnlicheren Ton an. »So was passiert nun mal. Du wirst schon darüber hinwegkommen.«
    Ich bin nie darüber hinweggekommen. Mein Leiden an dem Verlust von Faith stand in keinem Verhältnis zu dem, was ich bei unseren nur zwei Verabredungen und zwischendurch, wenn ich an sie dachte, für sie empfunden hatte. So sagte es mir die Vernunft. Aber die Vernunft war keine Hilfe. Gegen Eifersucht hilft überhaupt nichts. Ich fing an, ihre Schönheit zu idealisieren. Ihre Arme wurden noch länger und schlanker. Ihre Küsse, eigentlich nur zaghaft und zahnlos, waren jetzt tiefer und leidenschaftlicher, unergründlich wie das Meer
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