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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst
Autoren: Howard Jacobson
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genügend Schlampenhaftigkeit in sich entdeckt habe, um die Rolle der Kleopatra zu spielen. Innerlich zuckte sie vor der Brutalität des Wortes zusammen und hielt es im shakespeareschen Sinn nicht für angemessen. Aber sie stritt eher verträumt und ohne Überzeugung für ihre Sache, als reizte sie an diesem weihevollen Ort vielmehr die Frage, ob sie selbst genügend Schlampenhaftigkeit in sich zu entdecken fähig sei, um – diesmal mit Überzeugung – die Rolle von Marius’ Mätresse zu spielen.
    *
    Eine Geschichte, die – ganz gleich, was man sonst von ihr halten mag – erklärt, warum Marius mich von dem Moment an, als ich ihn zum ersten Mal erblickte, in Aufregung versetzte. Nicht jedem Zwanzigjährigen ist es gegeben, eine Frau, die zweieinhalbmal so alt ist wie er, ihrem Mann abspenstig zu machen und mit ihr eine gemeinsame Wohnung zu beziehen. Marius war ein Grenzüberschreiter, einer, der Anstand nur mit Respektlosigkeit begegnete. Für solche Leute habe ich einen Riecher, auch wenn – oder sollte ich vielleicht eher sagen: gerade weil – er mir mit der gleichen Respektlosigkeit begegnete.
    Dass ich einen Riecher für solche Leute habe, ist nur eine verharmlosende Umschreibung eines Instinkts, zu dem ich mich mutig bekennen sollte. Manche Männer, und Marius gehörte dazu, haben mir schon immer Angst gemacht, aus dem einen Grund, weil sie eine Eigenschaft zu besitzen scheinen, die ich nicht habe: die Fähigkeit, eine Frau, wider jede Vernunft und jedes Gewissen, dazu zu überreden, sich ungezügelter Lust hinzugeben. Das meinte ich damit, als ich sagte, ich betrachtete Marius aus pornografischer Sicht. Ganz abgesehen davon, wie er wirklich war, spielte er eine archetypische Rolle in dem aus Bücherwissen gespeisten Theater des Aufruhrs und des Melodramas, das meine sexuelle Fantasie ausmachte. Er lauerte in dunklen Kinosälen, für alle unsichtbar, außer der Frau, die er dir wegnehmen und in der Finsternis unbemerkt küssen würde, während du neben ihr saßest und ihre Hand hieltst. Er war der ewige Lebemann oder Lüstling, der jedem, der kein Lebemann oder Lüstling war, Angst um die eigene Potenz einflößte. Egal, ob man gerne selbst eine Frau dazu verführt hätte, sich wider jede Vernunft der ungezügelten Lust hinzugeben – das Wissen, dass man selbst dazu nicht fähig war, er dagegen wohl, lag zusammengerollt wie eine Giftschlange in dem hohen Gras der Selbsteinschätzung. Und das längst bevor man sich der heiklen Frage stellte, was geschehen würde, wenn man – quasi Kopf an Kopf – dieselbe Frau umwarb.
    War das freudianisch? Sah ich meinen Vater in ihm, der mit mir um meine Mutter buhlte? Ich würde nicht dagegenhalten. Meinen Vater erkenne ich in den meisten Männern wieder, und zweifellos meine Mutter in den meisten Frauen. Sie war ständig in Sorge, er war ein Schwein – wie das bei Archetypen so ist, mit diesen beiden konnte man im Leben nicht allzu schiefliegen.
    Das Rätsel, warum Marius mich so beschäftigte, wäre damit jedenfalls gelöst. Er war einer von denen. Er hatte das, was Sacher-Masoch in jenem mit schwarzem Samt behangenen, Schauder auslösenden Griechen sah – die Macht zu »unterwerfen«. Nicht, weil ich selbst eines der beiden minderjährigen Mädchen begehrt hätte, war es mir zuwider, wie er auf dem feuchtkalten Gräberfeld von Wooton-Under-Wasweißich mit ihnen spielte, noch weil ich ihn um die Professorenwitwe beneidete, litt ich mit ihr, als er sie mit seiner Distanziertheit quälte. Letzteres war ohnehin nur Teil ihres durch den Altersunterschied bedingten Rituals aus Grausamkeit und Sichabfinden. Nein, was mir wirklich naheging, war, dass er nur deswegen so handelte, weil er es sich leisten konnte. Sie genießen Vorrechte, diese sich nichts vergebenden Lüstlinge mit den traurigen Gesichtern. Jedenfalls in meinen Ängsten. Was vielleicht nur besagt, dass ich derjenige bin, der ihnen Vorrechte einräumt.
    Erst unterstelle ich ihnen nahezu unmögliche Kräfte. Dann gebe ich sie frei. Frei wozu?
    Frei, um das zu tun, was sich die rasende Fantasie eines Perversen von ihnen erwünscht. Frei, um Schaden anzurichten. Frei, um sich das zu nehmen, was dir gehört. Frei, um dir deine Frau abzulisten. Frei, um eine Schlampe aus ihr zu machen. Frei, um aus dir ein Nichts zu machen.
    Man könnte gewiss noch
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