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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst
Autoren: Howard Jacobson
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aber doch davon Abstand; falls Marisa wirklich ernsthaft krank war, hätte es wenig Sinn, wenn ich ihr eine Szene machte. Also schickte ich ihr eine SMS : »Was kann ich tun, Darling?«
    Ein Stunde später kam die Antwort: »Nichts, Darling.«
    Es war, als wäre mit den Worten ein Vorhang gefallen, ein Vorhang aus Tränen. Ich versuchte nicht einmal, dagegen anzublinzeln. Ich erlag ihnen, als wären sie mir prophezeit gewesen, Tränen aus einem anderen Leben, die auf mich gewartet hatten. Ich legte mich auf unser Bett und schloss die Augen. Subspace im Exzess.
    Als ich die Augen wieder öffnete, war es draußen dunkel. Gerne hätte ich noch mal die SMS gelesen, aber ich traute mich nicht. Sie hatte Darling zu mir gesagt, immerhin, das war doch etwas, sogar mehr als etwas; aber sie hatte mir auch gesagt, ich könne nichts tun, und das war weniger als nichts.
    Â»Nichts, Darling.« Nichts – in dem Sinn, dass sie nichts von mir wollte? Nichts – in dem Sinn, dass ich nichts tun konnte, ganz gleich, ob ihr meine Hilfe recht gewesen wäre oder nicht? Oder nichts in dem Sinn, dass überhaupt niemand etwas für sie tun könne? Wie immer man es las, die Endgültigkeit war nicht auszuhalten.
    *
    Für mich gibt es zwei Arten von Tod. Es gibt den Tod der Männer, und es gibt den Tod der Frauen, und der Tod von Frauen ist unendlich schmerzvoller zu verkraften. Ich weinte noch um meine Mutter, als mein Vater ihren Namen längst vergessen hatte. »Reiß dich zusammen«, sagte er, als er meinen Anblick und den Anblick meiner Tränen nicht länger ertragen konnte. »Heb dir noch ein bisschen Trauer für mich auf.«
    Â»Du bist nur ein Mann«, sagte ich.
    Â»Ich bin dein Vater.«
    Â»Ein Vater ist nicht die Mutter.«
    Â»Sterben muss ich trotzdem.«
    Â»Ja, aber ich nicht deswegen trauern.«
    Ich hatte immer gewusst, dass ich den Tod meiner Mutter nicht gut verkraften würde. Zu lange schon hatte ich mich darauf vorbereitet. Solange ich denken kann, war ich wie besessen von dem Gedanken an dieses tieftraurige Ereignis – nicht nur den Tod meiner Mutter, wann immer er sich ereignete, sondern den Tod von Frauen überhaupt. Auch unter allen anderen Frauen, denen ich später im Leben begegnete, gab es keine, deren Tod ich nicht voraussah und um die ich nicht im Voraus trauerte. Noch heute laufen Frauen durch die Welt, blühend und mit frischen Wangen, die keine Ahnung haben, dass ich schon vor Jahren an ihrem Sarg zusammengebrochen bin.
    Das hängt zweifellos mit meiner Konstitution zusammen. Freud beschreibt die passiv-masochistische Verfassung als eine, in welcher der Sohn den Platz der Mutter einnimmt und sich die Liebe des Vaters wünscht. Schwer zu glauben bei einem Vater wie meinem, aber so funktioniert nun mal das Unterbewusstsein. Wenn Freud recht hatte, dann trauerte ich um eine Frau, die ich bereits getötet hatte oder die zu töten ich beabsichtigte.
    Aber es musste noch eine andere Bühne des Lebens geben, auf der ich von meiner Mutter abrückte, nicht indem ich sie tötete, sondern indem ich sie verunglimpfte. Trauere um sie, schick sie auf den Strich. Schick sie auf den Strich, trauere um sie. Wer sagt, was zuerst da war, und wo die Ursachen sind?
    Ich weiß nur, dass Begehren bei mir immer erfüllt ist von Traurigkeit – ganz gleich, ob ich nun in die Rolle der Mutter schlüpfen oder ob ich die Mutter beschmutzen wollte. Kaum hatte ich mich in eine Frau verliebt, stellte ich mir auch schon ihren Tod vor.

In den folgenden Wochen lebte ich hinter dem Tränenvorhang, der sich mit Marisas SMS gesenkt hatte. Ich ging nicht zur Arbeit. Ich verließ kaum das Haus. Zehnmal am Tag rief ich in Richmond an, aber erwischte immer nur den Anrufbeantworter. Ich hinterließ Nachrichten, die aber nicht beantwortet wurden. Ich scheute mich, Marisas Handy anzurufen, weil ich wusste, dass ich zusammenbrechen würde, wenn ich ihre Stimme hörte. Das würde ihr auch nicht weiterhelfen. Weitere SMS zu schicken, ließ ich aus Angst bleiben; noch so eine wie die letzte, und ich wäre ein toter Mann.
    Schließlich kam eine SMS von ihr. »Gehe heute ins Krankenhaus. Denke, dass ich überlebe. Alles Liebe, M.«
    Â»Welches Krankenhaus?«, schrieb ich zurück.
    Â»Brauchst du nicht zu wissen.«
    Â»Ich bin dein Mann. Ich muss bei dir sein.«
    Â»Du bist zu
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