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Liebesbisse

Liebesbisse

Titel: Liebesbisse
Autoren: Claire Castillon
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dass ich sie in der Öffentlichkeit nie küssen würde, dass ich nicht eindeutig zu ihr stehen und ihr deshalb solche Peinlichkeiten bescheren würde. Doch wenn ich zärtlich zu ihr bin, fürchte ich, dass die Leute denken, ich hätte etwas mit meiner Mutter – was nicht passieren wird, denn ich sehe sie kaum; sie hat sich mit Thérèse nie verstanden.
    Nun ist es so, dass Thérèse Frauen in ihrem Alter schrecklich findet. Das ist komisch, »kosmisch« gar, um den Ausdruck zu verwenden, den sie sich vor ein paar Wochen angewöhnt hat. Sie umgibt sich mit jungen Frauen und macht sich keine Gedanken darüber, ob diese mit ihr überhaupt etwas gemeinsam haben oder ob sie mir gefallen könnten – was dann möglicherweise eine Problem für sie ist, denn ich bin ja nicht aus Stein. Viele Mädchen nerven mich aber eher mit ihrem Geplapper, und wenn Thérèse dann auch damit anfängt, kommt es schon mal vor, dass ich unfreundlich werde und sie eine dumme Kuh nenne.
    Thérèse tanzt gern, also gehen wir in die Disco, obwohl ich ein Abendessen im kleinen Kreis und eine Unterhaltung auf angemessenem Niveau vorziehe. In der Diskothek nötigt sie mich, die Hüften zu schwingen. Thérèse sagt, ich sei altmodisch und lasch. Nachts bespringt sie mich bis zu meiner völligen Erschöpfung; das Powerhormon DHEA nehme ich natürlich nicht. Um durchzuhalten, schluckt sie eine Menge Vitamine und wundert sich dann, dass sie nicht schlafen kann. Sie lebt angeblich nach dem Motto: spät schlafen und früh aufstehen, aber ich glaube eher, dass sie Schlafstörungen hat. Neulich hat sie sich über mein Schnarchen beklagt. Ein Problem des Gaumensegels – das hat sie bei mir festgestellt! Soll ich ihr vielleicht mal was über den Schleier vor ihren Augen erzählen? Ich könnte damit anfangen, das Problem beim Namen zu nennen: Grauer Star, mein altes Mädchen. Hörst du mich wenigstens noch?
    Gestern hat sie wirr geredet. »Das rätst du nie!«, rief sie, als sie nach Hause kam. »Ich kam aus dem Büro und traf den Ausblick ohne Heizung!«
    Sie zuckte zusammen und korrigierte sich sofort.
    »Was rede ich denn da? Den Ofen! Ach, verflixt! Das Hotel, na, diesen Typen da! Du weißt schon, wen ich meine.«
    Sie meinte Charles, den Direktor des Hotels mit Meerblick, aber ohne Heizung, in dem wir irgendwann mal ein Wochenende verbracht haben. Ganz einfach. Nachdem ich sie ganz gelassen auf ihren Fehler hingewiesen hatte, riet ich ihr, die Vitaminpräparate abzusetzen.
    »Die machen dich hektisch. Du bringst alles durcheinander!«
    »Na, jetzt aber! Hast du dich noch nie versprochen?«
    Wie meine Mutter, immer geht sie gleich in die Luft. Ich reize sie mit meinen vollständigen, sinnvollen Sätzen. Sie fühlt sich von meinem Sinn für Zusammenhängendes erniedrigt, aber deswegen kann ich doch nicht anfangen, irgendeinen Unsinn daherzureden, nur um sie nicht zu verletzen. Alles geht vor die Hunde. Was soll ich nur dagegen tun? Sie ist wie mein altes Pferd, aber ich kann sie doch nicht schlachten. Meine Mutter hat mich gewarnt, sie wusste schon immer, dass sich der Altersunterschied eines Tages schmerzlich bemerkbar machen würde.
    Unser Leben wird zum Martyrium. Das steht fest – steht in ihren Falten und in unserem Bett geschrieben. Im Grunde würde ich mir wünschen, dass sie mich wegen eines anderen verlässt. Gibt es irgendwo auf der Welt eine Form der Abweichung, die das Sexualleben von Bettlägerigen verlängert und auf die gewisse Perverse stehen? Sie muss weg. Von hinten scheinen schon ihre Knochen durch, wenn sie Kleider aus dünnem Stoff trägt.
    Ein Typ aus ihrem Büro renne ihr hinterher, behauptet sie. Und ob er rennt! Und sie rennt ihm davon! Wettrennen der Oberschenkelhälse! Los, ihr Alten! Er ist in ihrem Alter, frisch geschieden, keine Kinder, er fährt gern Boot und mag Schokolade, mehr weiß sie im Moment noch nicht über ihn. Und dass er zu ihr gesagt hat, sie sehe aus wie ein Bild von Picasso. In Ihrem Gesicht ist alles schief, hat er erklärt, die Nase, die Augen, der Mund. Ehrlich gesagt, ich finde ihn geistreich. Ich werde mir bei ihrer jährlichen Betriebsfeier ein genaueres Bild von diesem Mann machen und dabei gleich merken, ob ihm ältere Frauen gefallen oder nicht. Wenn ja, werde ich ihm Thérèse schenken und sie zusammen gehen lassen. Sie hat ihm ein Foto von mir gezeigt. Sie weiß, was sie tun muss, wenn man sie anmacht. Sie sagt gleich, was Sache ist: Sie ist vergeben. Und dann offenbart sie den Beweis im Bild. Im
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