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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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Hausnummer, zur Umkehr war es zu spät. Lärm drang aus der geschlossenen Haustür, und sie musste zwei Mal klingeln.
    Sie wurde von einer Frau begrüßt, die offenbar jemand anderen erwartet hatte. Begrüßt war das falsche Wort – die Frau machte die Tür auf, und Greta sagte, hier sei doch wohl der Empfang.
    »Wonach sieht’s denn aus?«, fragte die Frau und lehnte im Türrahmen. Sie versperrte den Weg, bis Greta sagte: »Darf ich reinkommen?«, dann trat sie beiseite, als bereitete ihr die Bewegung beträchtliche Schmerzen. Sie bat Greta nicht, ihr zu folgen, also tat Greta es unaufgefordert.
    Niemand sprach sie an oder nahm von ihr Notiz, aber nach kurzer Zeit streckte ein junges Mädchen ihr ein Tablett entgegen, auf dem Gläser mit so etwas wie rosa Limonade standen. Greta nahm eins und trank es durstig aus, dann nahm sie noch eins. Sie dankte dem Mädchen und versuchte, ein Gespräch über den langen, heißen Anmarsch anzufangen, aber das Mädchen war nicht interessiert und wandte sich ab, tat seine Arbeit.
    Greta schlenderte weiter. Sie lächelte unentwegt. Niemand der Gäste sah sie mit irgendeinem Zeichen von Wiedererkennen oder Freude an, und warum sollten sie auch? Ihre Blicke glitten an ihr vorbei, dann setzten sie ihre Gespräche fort. Sie lachten. Alle außer Greta waren mit Freunden, Witzen und vertraulichem Wissen ausgestattet, alle schienen jemanden gefunden zu haben, dem sie willkommen waren. Alle bis auf das Mädchen und den Jungen, die weiterhin verdrossen und unerbittlich ihre rosa gefüllten Gläser anboten.
    Sie gab jedoch nicht auf. Das Getränk half ihr, und sie beschloss, sich noch eins zu nehmen, sobald ein Tablett vorbeikam. Sie hielt nach einer Gesprächsrunde Ausschau, die eine Lücke zu bieten schien, in die sie schlüpfen konnte. Sie meinte, eine gefunden zu haben, als sie hörte, wie Titel von Filmen erwähnt wurden. Von europäischen Filmen, die zu jener Zeit allmählich in die Kinos von Vancouver gelangten. Sie hörte den Titel von einem Film, den sie mit Peter zusammen gesehen hatte.
Sie küssten und sie schlugen ihn
. »Ah, den hab ich gesehen!«, kam es laut und begeistert aus ihr heraus, so dass alle sie anschauten und eine, offenbar die Wortführerin, sie fragte: »Ach ja?«
    Greta war natürlich betrunken. Pimm’s No. I und rosa Grapefruitsaft, hastig hinuntergestürzt. Sie nahm sich diese Abfuhr nicht so zu Herzen, wie sie es unter normalen Umständen getan hätte. Sondern segelte einfach weiter, merkte, dass sie irgendwie die Orientierung verloren hatte, bekam aber das Gefühl, dass in den Räumen eine schwindelig machende Atmosphäre von Freizügigkeit herrschte und dass es nicht darauf ankam, Bekanntschaften zu schließen, sie konnte einfach umherschlendern und sich ihre eigene Meinung bilden.
    Ein Grüppchen von wichtigen Leuten stand in einem Torbogen. Sie sah unter ihnen den Gastgeber, den Schriftsteller, dessen Name und Gesicht sie seit so langer Zeit kannte. Er unterhielt sich laut und hektisch und schien, zusammen mit noch zwei anderen Männern, Gefahr auszustrahlen, als würden sie eher eine Beleidigung austeilen als jemanden wie sie anschauen. Ihre Ehefrauen, so nahm sie jedenfalls an, vervollständigten den Kreis, in den sie sich zu drängen versucht hatte.
    Die Frau, die ihr die Tür aufgemacht hatte, stand nicht in einer der Gruppen, denn sie war selbst Schriftstellerin. Greta sah, wie sie sich umwandte, als jemand ihren Namen rief. Ein Name, vertraut aus der Zeitschrift, die Gretas Gedichte veröffentlicht hatte. War es aus diesen Gründen nicht möglich, auf sie zuzugehen und sich vorzustellen? Wie einer Gleichrangigen, trotz des kühlen Empfangs an der Tür?
    Aber jetzt schmiegte die Frau den Kopf an die Schulter des Mannes, der sie gerufen hatte, und eine Unterbrechung wäre den beiden kaum willkommen.
    Diese Überlegung zwang Greta, sich hinzusetzen, und da sie keine Stühle sah, setzte sie sich auf den Fußboden. Ein Gedanke kam ihr in den Sinn. Wenn sie mit Peter zu einer Cocktailparty von Ingenieuren ging, war die Atmosphäre angenehm, auch wenn die Gespräche langweilig waren. Weil nämlich der Status jedes Einzelnen feststand, zumindest für den Augenblick. Hier dagegen war niemand sicher. Urteile konnten hinter dem Rücken gefällt werden, sogar über die, die bekannt waren und gedruckt wurden. Es herrschte eine Aura von Anmaßung oder Nervosität, ganz egal, wer man war.
    Und hier hatte sie sich verzweifelt nach jemandem umgeschaut, der ihr
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