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Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Titel: Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn
Autoren: Sergio Bambaren
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die Möglichkeit bekam, mit anderen Menschen den Zauber zu teilen, den ich erlebt hatte.
    Doch selbstverständlich denken nicht alle so wie ich, und als ich von meiner Lektorin die redigierte Fassung bekam, war ich entsetzt.
    Ich rief sie sofort an.
    »Hier spricht Sergio.«
    »Hallo Sergio. Schön, von Ihnen zu hören. Haben Sie die lektorierten Seiten bekommen?«
    »Ja, aber um ganz ehrlich zu Ihnen zu sein: Das habe ich nicht geschrieben.«
    »Ich weiß, wir haben ein paar Veränderungen vorgenommen. So wird es besser funktionieren.«
    »Aber das ist nicht das, was ich geschrieben habe«, beharrte ich.
    Ich hörte ihre entschlossene Stimme am anderen Ende der Leitung: »Ich weiß, Sergio. Aber mit diesen Korrekturen wird es sich besser verkaufen, glauben Sie mir.«
     
    Als ich an einem Regentag in Singapur meine Stelle gekündigt hatte, hatte ich mir selbst drei Versprechen gegeben: Ich würde nie wieder eine Krawatte tragen, nie wieder eine Armbanduhr, und ich würde nie mehr meine innere Stimme überhören. Aber versteht mich bitte nicht falsch – das ist meine ganz persönliche Entscheidung. Wenn jemand gern eine Krawatte oder eine Uhr trägt, dann soll er das ruhig tun.
    Ich sagte zu meiner Lektorin, ich würde sie am nächsten Tag noch einmal anrufen, und dann tat ich das, was ich immer tue, wenn ich eine schwere Entscheidung treffen muss: Ich ging abends an den Strand, setzte mich in den feuchten Sand, meditierte und ließ die Stimme meines Herzens sprechen. Ich kannte die Antwort schon, aber ich musste sie direkt am Meer noch einmal aus meinem Inneren hören.
    Am nächsten Morgen rief ich im Verlag an. »Sergio?«
    »Margaret, ich habe mich entschieden. Entweder Sie veröffentlichen die Geschichte in meiner ursprünglichen Version, oder ich muss leider aus dem Vertrag aussteigen.«
    »Sie machen einen großen Fehler, Sergio. Wir sind die Experten auf diesem Gebiet, Sie haben keine Ahnung vom Buchmarkt!«
    Die gleichen Worte, nur in einer anderen Branche …
    »Tut mir leid«, sagte ich, »aber meine Entscheidung steht fest.«
    »Das werden Sie eines Tages sicherlich bereuen, Sergio.«
    »Kann sein. Aber dann bin ich wenigstens selbst daran schuld.«
     
    Der Vertrag mit Random House war also geplatzt. Doch meine Freunde, zwei Engel auf Beinen, meinten zu mir:
    »Wenn Random House in deinem Manuskript Potenzial gesehen hat, dann lass es uns doch einfach im Selbstverlag herausgeben, und zwar genau so, wie du es geschrieben hast.«
    Ja, warum eigentlich nicht?, dachte ich.
     
    Wir druckten eine Erstauflage von fünftausend Exemplaren. Zu unserer Überraschung war die Auflage in nicht einmal einem Monat vergriffen. Nach einem Jahr hatten wir über hunderttausend Bücher in Australien verkauft. Und ohne dass ich es wusste, gelangte das Bändchen bei der Frankfurter Buchmesse in die Hände verschiedener Verlage. Plötzlich bekam ich Anrufe und Faxe von spanischen, italienischen, deutschen Verlagen …
    Das war im November 1996.
    So wurde ich Schriftsteller.

ja, ich habe meine Lektion gelernt und sie in die Praxis umgesetzt. Man hatte mir eingetrichtert, dass ich so schnell wie möglich Karriere machen sollte, um mir alles kaufen zu können, was ich will. Und wenn ich dann alles hätte, würde ich mich den meisten anderen Menschen überlegen fühlen, ich wäre wichtiger, angesehener, glücklicher. Das nennt man Erfolg.
    Doch mich haben Geld, Macht und Arroganz in ein schwarzes Loch gestoßen, aus dem ich zum Glück wieder herausfand. Ich sage ja nicht, dass es schlecht ist, schöne Dinge zu besitzen, Daniel – wenn Du das willst, dann nur zu. Ich kann nur für mich sprechen.
    Dennoch denke ich, dass ich ein klein wenig im Vorteil bin, denn im Gegensatz zu vielen anderen Menschen habe ich beide Seiten der unsichtbaren Mauer kennengelernt. Auf der einen Seite sind Deine Träume und die Stimme Deines Herzens, auf der anderen Seite warten finanzieller Aufstieg und ein Kokon voller materieller Dinge, die Dir Deine kostbare Zeit rauben, wenn Du sie nicht verlieren willst. Vielleicht sind viele Menschen ja glücklich in ihrem Kokon, und das ist auch gut so. Aber ich könnte so nicht leben. Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Ziele im Leben. Wir haben nicht das Recht, über andere zu urteilen, Daniel, nur über uns selbst.
    Und dann sind da diese Leute, die Dich nie aus den Augen lassen, die nur darauf warten, dass Du einen Fehler begehst. Dann können sie sich gut fühlen in ihrem vorgefertigten
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