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Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Titel: Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn
Autoren: Sergio Bambaren
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Tejo ist die einzige Hauptstadt in Südwesteuropa, die ganz nah am Meer liegt …
    Zufall? War es ganz einfach nur ein Zufall, dass ich mich dort so wohlfühlte?
    Nein.
    Aber das ist mir erst heute richtig bewusst.
     
    Etwa dreißig Kilometer westlich von Lissabon, am Rande des Nationalparks Sintra-Cascais, liegt ein idyllischer Campingplatz. Zum »Camping Orbitur« gelangt man von der Hauptstadt aus über die malerische Avenida Marginal, die sich an der Küste entlangschlängelt, wo die Wellen des tosenden Nordatlantiks an die Felsen branden. Der Campingplatz befindet sich mitten in einem Pinienwald – die pinheiros stehen hier so dicht aneinandergedrängt wie in einem Urwald – direkt hinter der berühmten Praia do Guincho, einem breiten, weiten Sandstrand, der weltweit als Paradies vor allem für Windsurfer, aber auch für leidenschaftliche Wellenreiter gilt. In der Ferne, hoch oben in den grünen Hügeln der Serra, kann man das Städtchen Sintra erahnen, einst Sommersitz der Könige von Portugal. Der prächtige Palast mit seinen auffälligen konischen Schornsteinen wurde im achten Jahrhundert von den Mauren erbaut und ist stiller Zeuge einer Zeit, als die Iberische Halbinsel unter arabischer Herrschaft stand, bevor sie während der Reconquista, die schließlich zu den Kreuzzügen führte, wieder in die Hände der Christen gelangte.
    Guincho ist ein Ort mit einer ganz eigenen Ausstrahlungskraft. Tagsüber sah ich die tiefblauen Atlantikwellen den hellen Sand des kilometerlangen Strandes säumen, und nachts blies der Wind manchmal so heftig, dass ich meinte, mein Bus würde umkippen. Die Parzellen auf dem Campingplatz waren aber gut genug vor den starken Winden geschützt.
    »Camping Orbitur« wurde gewissermaßen das Basislager für meine Ausflüge zu den besten Wellen ganz Europas. Von Peniche, etwa hundert Kilometer nördlich von Guincho an der Costa de Lisboa, bis hinunter zu den in der Nähe von Lissabon gelegenen Stränden der Costa do Sol, wie Carcavelos und São Pedro do Estoril, war Portugal ein Traum für Wellenreiter. Irgendwo fand man immer tolle Wellen! Und wenn sie zu hoch wurden, fuhr man an die »Hausstrände« der Hauptstadt, die durch ihre Lage an der Tejomündung nach Süden hin von den starken Atlantikstürmen geschützt sind. Während ich surfte oder bei totaler Windstille im glasklaren Wasser paddelte, begann ich mich zu erinnern, wie alles angefangen hatte. Wenn ich aus dem Wasser kam und mich abtrocknete, sah ich Kinder und Jugendliche ganz aufgeregt an den Strand kommen. Sie wollten nach der Schule noch ein paar Wellen erhaschen, bevor die letzten Sonnenstrahlen vom Horizont verschluckt wurden. Ganz genauso hatten es damals meine Freunde und ich in Lima gemacht!
     
    Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon beschlossen, dass ich mich nach meiner Rückkehr in Australien nach einem Job umsehen würde, bei dem ich von zu Hause aus arbeiten könnte. Ich würde sehr wahrscheinlich weniger Geld verdienen, dafür aber das Wertvollste zurückbekommen: Zeit, um mein Leben zu genießen.
     
    Mein Aufenthalt in Portugal entwickelte sich zu einem wundervollen Abenteuer. Jeden Tag surfte ich an einem anderen Strand. Ich kaufte auf dem Markt frisches Gemüse und andere Lebensmittel und bereitete mir alles in der Kochnische meines treuen Campingbusses zu. Ich drückte das Aufstelldach hinauf und öffnete alle Fenster und Türen, um den Eindruck von mehr Raum zu schaffen. An eines der Seitenfenster hatte ich ein kleines Plakat mit einem Zitat von Konfuzius geklebt:
    Mein Haus ist sehr klein, aber seine Fenster öffnen sich
auf eine große und wundervolle Welt.
    Ich las es jeden Tag und dankte dem Leben dafür, dass es mir eine zweite Chance und die Kraft gegeben hatte, die Regeln zu brechen, die unsichtbaren Mauern zu überwinden und mein Leben so zu leben, wie ich es wollte.
     
    Wie gesagt, ich nahm nur meine beiden Surfbretter, meine Gitarre und meinen Laptop mit nach Europa. Mithilfe des Laptops wollte ich meine Ausgaben kontrollieren und sichergehen, dass das Ersparte ein Jahr lang für mich reichen würde.
    Vor meiner Abreise aus Sydney hatte ich meinen gesamten materiellen Besitz an wohltätige Einrichtungen gespendet. Die Leute hielten mich für verrückt, aber für mich wäre es zu einfach gewesen, durch Europa zu reisen und dann mit der Sicherheit nach Australien zurückzukehren, dass ein gemachtes Nest und ein gefülltes Bankkonto auf mich warten. Wenn ich wirklich zu meinen Wurzeln
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