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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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wonnevolle Dinge mit ihr an; sie konnte sich jedenfalls leicht vorstellen, dass sie mit jedem anderen wonnevoll gewesen wären, außer mit dem Lektor. Ich selbst bekam auf dem Treppenabsatz vor dem Kinderzimmer ein paar ungeheuer erotische Kniffe. Du musst zugeben, Fanny …«
    Meine Tante Sadie hatte natürlich nicht die geringste Ahnung von alledem; sie wäre zutiefst entsetzt gewesen. Sie und Onkel Matthew hatten Mr Dougdale nie leiden können, und wenn sie den Vortrag erwähnte, sagte sie, er sei genauso gewesen, wie sie es erwartet hatte, blasiert, langweilig und für ein ländliches Publikum völlig ungeeignet, aber sie hatte in diesem abgelegenen Bezirk solche Schwierigkeiten, das Programm ihres Frauen-Instituts Monat für Monat zu füllen, dass sie, als er von sich aus geschrieben und vorgeschlagen hatte zu kommen, nur gedacht hatte: »Also gut, sei’s drum!« Gewiss glaubte sie, ihre Kinder hätten ihm nur um der Alliteration willen und nicht aus wirklichen Gründen den Namen Lasterlektor verliehen, und bei den Radletts konnte man tatsächlich nie wissen. Warum zum Beispiel brüllte Victoria wie am Spieß und brachte Jassy fast um, wenn diese mit einem ganz bestimmten Blick den Finger hob und in einem ganz bestimmten Ton »Einbildung« sagte? Ich glaube, sie wussten es selbst nicht.
    Als ich damals nach Hause gekommen war, hatte ich Davey von dem Lektor erzählt, und er hatte schallend gelacht, hatte mir aber auch eingeschärft, Tante Emily kein Sterbenswörtchen davon zu erzählen, sonst würde es einen entsetzlichen Krach geben, und die Einzige, die wirklich darunter zu leiden hätte, wäre Lady Patricia Dougdale, Boys Frau.
    »Sie hat es ohnehin schon schwer genug«, sagte er, »und außerdem, wozu? Aus diesen Radletts wird sowieso nichts Gescheites. Die arme Sadie weiß gar nicht, was sie da ausgebrütet hat, ein Glück für sie.«
    Das alles hatte sich ein oder zwei Jahre vor der Zeit zugetragen, über die ich hier schreibe, und der Name »Lektor« für Boy Dougdale war längst in den Sprachgebrauch der Familie eingegangen, keines von uns Kindern nannte ihn je anders, und auch die Erwachsenen hatten den Namen im Laufe der Zeit übernommen, obgleich Tante Sadie anstandshalber hin und wieder verschwommenen Protest erhob. Er passte einfach sehr gut.
    »Hör nicht auf Davey«, sagte Tante Emily, »er ist im Augenblick unausstehlich. Beim nächsten Mal, wenn wir solche Neuigkeiten zu erzählen haben, werden wir warten, bis der Mond abnimmt. Vernünftig kann man mit ihm nur reden, wenn er fastet. Wir wollen einmal überlegen, was du anziehst, Fanny. Sonias Partys sind immer ungeheuer elegant. Ich nehme an, sie ziehen sich sogar zum Tee um. Wie wäre es, wenn wir dein Ascott-Kleid in einem schönen dunklen Rot färben ließen? Gut, dass noch fast ein Monat Zeit ist.«
    Fast ein Monat – wirklich ein tröstlicher Gedanke. Obwohl ich unbedingt an dieser Hausparty teilnehmen wollte, erfüllte mich schon allein die Vorstellung mit Angst und Schrecken, nicht so sehr wegen Daveys Flachsereien, sondern weil jetzt alte Erinnerungen in mir aufstiegen, Erinnerungen an meine Besuche als Kind und daran, wie wenig sie mir gefallen hatten. »Unten« herrschte in Hampton das Grauen. Man könnte meinen, jemand, der wie ich an ein von meinem Onkel Matthew Alconleigh bewohntes »Unten« gewöhnt war, ließe sich durch nichts so leicht aus der Fassung bringen. Aber dieses lärmende, tobende Ungeheuer, dieser Mädchenfresser, beschränkte sich keineswegs auf einen bestimmten Teil seines Hauses. Er polterte überall herum, und am sichersten war man vor ihm »unten«, im Salon von Tante Sadie, denn sie war die Einzige, die ihn halbwegs zu bändigen vermochte. Das Grauen in Hampton war von anderer Art, eiskalt und leidenschaftslos, und es regierte »unten«. Nach dem Tee musste man – die ganz Kleinen frisch zurechtgemacht, gewaschen und gekämmt, die etwas Älteren in einem adretten Kleidchen – in die Lange Galerie herunterkommen, wo sich anscheinend Dutzende von Erwachsenen aufhielten, die in der Regel alle Bridge spielten. Das Schlimmste am Bridge ist aber, dass von vier Spielern einer immer Zeit hat, herumzustreifen und sich mit kleinen Mädchen nett zu unterhalten.
    Aber alles in allem nahmen die Karten doch die meiste Aufmerksamkeit in Anspruch, und wir konnten uns auf dem langen weißen Eisbärenfell vor dem Kamin niederlassen, ein Bilderbuch ansehen, das wir schräg an den Kopf des Bären lehnten, oder einfach plaudern,
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