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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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Fassungsvermögen seines Magens nehme im Einklang mit den Mondphasen zu oder ab.
    Onkel Davey war meine einzige Verbindung zur Welt – nicht zu der Welt trockenschwimmender Mädchen, sondern zu der großen, verruchten Welt selbst. Meine beiden Tanten hatten ihr schon in jungen Jahren entsagt, sie bedeutete ihnen nichts, und ihre Schwester, meine Mutter, war schon vor langer Zeit im Schlund dieser Welt verschwunden. Davey hingegen hegte trotz mancher Vorbehalte eine gewisse Sympathie für sie und unternahm oft auf eigene Faust kleine Ausflüge in ihre Richtung, von denen er dann mit einem Sack voll interessanter Anekdoten zurückkehrte. Ich konnte es kaum erwarten, mit ihm über die neue Wendung in meinem Leben zu plaudern.
    »Bist du sicher, dass er zu betrunken ist, Tante Emily?«
    »Ganz sicher, Liebling. Wir müssen bis morgen warten.«
    Doch da sie alle Briefe postwendend beantwortete, schrieb sie zurück und nahm die Einladung von Lady Montdore an. Als aber Davey dann am nächsten Morgen wieder auftauchte, vollkommen grün im Gesicht und mit fürchterlichen Kopfschmerzen (»Oh, aber es ist großartig, verstehst du, eine derartige Herausforderung für den Stoffwechsel, ich habe eben mit Dr. England telefoniert, und er ist mit meiner Reaktion sehr zufrieden«), da hatte er einige Zweifel, ob sie richtig daran getan habe.
    »Meine liebe Emily, das Kind wird vor Angst sterben, das steht fest.« Er las Lady Montdores Brief noch einmal genau durch. Ich wusste, dass er recht hatte. Im Grunde meines Herzens hatte ich es schon gewusst, als Tante Emily mir den Brief zum ersten Mal vorgelesen hatte, aber ich war trotzdem wild entschlossen hinzufahren; der Gedanke besaß für mich eine glitzernde Faszination.
    »Ich bin kein Kind mehr, Davey«, sagte ich.
    »Auch Erwachsene sind in Hampton schon vor Angst gestorben«, erwiderte er. »Zwei junge Männer für Fanny und Polly – na ja! Zwei alte Liebhaber von zwei alten Damen dort, wenn mich nicht alles täuscht! Warum siehst du mich so an, Emily? Wenn du dieses Kind in die vornehme Gesellschaft katapultieren willst, dann musst du es auch mit dem Wissen um die Tatsachen des Lebens rüsten. Ich begreife deine Strategie einfach nicht. Zuerst sorgst du dafür, dass sie nur vollkommen harmlosen Menschen begegnet und nicht nach rechts und links schaut – durchaus ein Gesichtspunkt, denke nur ja nicht, ich sei dagegen –, doch dann stößt du sie plötzlich von der Klippe, nach Hampton hinunter, und erwartest, dass sie sofort schwimmen kann.«
    »Du mit deinen Gleichnissen, Davey – das ist bloß dieser Alkohol«, sagte Tante Emily in einem für ihre Verhältnisse ziemlich ärgerlichen Ton.
    »Lass den Alkohol aus dem Spiel, ich möchte der armen Fanny nur erklären, wie das Ganze abläuft. Zunächst einmal, meine Liebe, lass dir eines gesagt sein, rechne nicht damit, dass dich diese angeblich jungen Männer irgendwie unterhalten werden, für kleine Mädchen haben die nämlich überhaupt keine Zeit, das ist sicher. Andererseits ist aber bestimmt auch der Lasterlektor eingeladen, und da ihr wahrscheinlich noch so gerade in die gleiche Altersgruppe wie er gehört, lässt sich gar nicht sagen, welche Späße und Spiele er nicht mit euch treibt.«
    »Oh, Davey«, sagte ich, »du bist schrecklich.«
    Der Lasterlektor war Boy Dougdale. Die Radlett-Kinder hatten ihm diesen Namen gegeben, nachdem er einmal einen Vortrag in Tante Sadies »Frauen-Institut« gehalten hatte. Der Vortrag selbst (ich war nicht dabei) scheint sehr langweilig gewesen zu sein, aber die Dinge, die der vortragende Lektor nachher mit Linda und Jassy anstellte, waren ganz und gar nicht langweilig gewesen.
    »Du weißt ja, in welcher Abgeschiedenheit wir hier leben«, hatte mir Jassy bei meinem nächsten Besuch in Alconleigh erzählt. »Da ist es natürlich nicht sehr schwierig, unser Interesse zu wecken. Erinnerst du dich zum Beispiel an den netten alten Mann, der mal hier war und einen Vortrag über die Mautschranken zwischen England und Wales gehalten hat? Es war ziemlich öde, aber es hat uns gefallen – er kommt demnächst wieder, diesmal redet er über Heckenwege in Südwestengland. Na ja, bei dem Vortrag des Lasterlektors ging es um Herzoginnen, und man hört natürlich lieber etwas von Menschen als von Mautschranken. Aber das Faszinierende war, dass er uns nach dem Vortrag einen Vorgeschmack von der Erotik vermittelte, stell dir vor, wie aufregend. Er nahm Linda mit unter das Dach und stellte allerlei
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