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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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Junge, einfach undenkbar geworden war. Gewiss hätten sie gern einen Jungen gehabt, aber nur zusammen mit Polly – nicht an ihrer Stelle. Sie war ihr Juwel, der Mittelpunkt ihrer Welt, um den sich alles drehte.
    Polly Hampton war eine Schönheit, und diese Schönheit war ihr auffälligstes Kennzeichen. Sie gehörte zu jenen Menschen, an die man nicht denkt, ohne dass man sie sofort vor sich sieht, und ihr Aussehen blieb sich stets gleich, unterlag nicht dem Einfluss von Kleidern, Alter, äußeren Umständen und selbst Gesundheit oder Krankheit. Wenn sie krank oder erschöpft war, sah sie allenfalls zerbrechlich aus, aber nie gelb oder welk oder geschrumpft; sie war schön geboren und hat, solange ich sie kannte, nie aufgehört, schön zu sein; ihre Schönheit nahm auch nie ab, im Gegenteil, sie nahm ständig zu.
    Pollys Schönheit und die Wichtigkeit ihrer Familie sind wesentliche Bestandteile dieser Geschichte. Aber während man sich über die Hamptons in mehreren einschlägigen Büchern kundig machen kann, hat es wenig Zweck, in alten Ausgaben des Tatler nachzublättern und sich Polly auf den Zeichnungen von Lenare oder von Dorothy Wilding anzusehen. Das Knochengerüst, die äußere Gestalt, ist da – hässliche Hüte und altmodische Posen können ihr nichts anhaben, stets sind Pollys Figur und die Form ihres Gesichts vollkommen. Aber Schönheit besteht nicht aus Knochen, Knochen gehören dem Tod an, sie sind unverweslich; Schönheit hingegen ist etwas Lebendiges, hauchdünn liegt sie an der Oberfläche, ein bläulicher Schatten auf weißer Haut, Haar, das wie Goldgefieder in eine glatte, weiße Stirn wippt, sie zeigt sich in den Bewegungen, im Lächeln und vor allem im Blick einer schönen Frau. Pollys Blick war ein blauer Blitz, das Blauste, Plötzlichste, das mir je begegnet ist, so merkwürdig unverbunden mit dem Akt des Sehens, dass man sich gar nicht vorstellen konnte, diese undurchsichtigen blauen Steine würden beobachten und etwas in sich aufnehmen, würden etwas anderes tun, als dem, auf den sie sich richteten, eine Wohltat zu erweisen.
    Kein Wunder, dass ihre Eltern sie liebten. Selbst Lady Montdore, die einem hässlichen Mädchen oder einem exzentrischen, eigensinnigen Knaben eine schlimme Mutter gewesen wäre, fiel es nicht schwer, sich in vorbildlicher Weise um ein Kind zu kümmern, das ihr, wie es schien, in der Welt zu Ansehen gereichen musste und ihren Ehrgeiz krönen würde; dies Letztere vielleicht sogar im wörtlichen Sinne. Polly war gewiss zu einer ganz außerordentlichen Ehe ausersehen – und hatte Lady Montdore nicht tatsächlich etwas sehr Großes ins Auge gefasst, als sie ihr den Namen Leopoldina gab? Hat dieser Name nicht einen königlichen, irgendwie coburgischen Beiklang, der sich eines Tages als äußerst passend erweisen konnte? Träumte sie von einer gewissen Abtei, einem Altar, einem Erzbischof, einer Stimme, die sprach: »Ich, Albert Edward Christian George Andrew Patrick David, nehme dich, Leopoldina«? Der Traum war kein bloßes Hirngespinst. Andererseits konnte nichts englischer, anspruchsloser, schlichter sein als »Polly«.
    Meine Cousine Linda Radlett und ich wurden schon in jungen Jahren immer wieder zum Spielen mit Polly ausgeliehen, denn die Montdores lebten wie viele Eltern von Einzelkindern in der ständigen Sorge, ihre Tochter könnte vereinsamen. Ich weiß, dass meine eigene Adoptivmutter, Tante Emily, im Hinblick auf mich die gleichen Ängste hegte und alles lieber getan hätte, als mich während der Ferien ohne Spielgefährten zu lassen. Hampton Park ist nicht weit von Alconleigh entfernt, wo Linda zu Hause war, und da sie und Polly ungefähr gleichaltrig waren, schien es ihnen vorbestimmt, füreinander die besten Freundinnen zu werden. Aber aus irgendeinem Grunde kamen sie nie besonders gut miteinander aus. Auch konnte Lady Montdore Linda nicht leiden und erklärte, kaum dass Linda alt genug war, sich überhaupt an Gesprächen zu beteiligen, ihre Konversation sei »unpassend«. Ich sehe Linda noch vor mir, beim Lunch im großen Esszimmer in Hampton (diesem Esszimmer, in dem ich zu ganz verschiedenen Zeiten meines Lebens solche Schrecken ausgestanden habe, dass allein schon sein Geruch, ein Aroma, das schwere Speisen, schwere Weine, schwere Zigarren und schwerreiche Frauen während hundert Jahren dort verdichtet hatten, auf mich noch heute so wirkt wie der Geruch von Blut auf ein Tier), ich höre ihre laute, singende Radlett-Stimme: »Hast du schon mal Würmer
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