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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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gehabt, Polly? Ich ja, du glaubst nicht, wie zappelig sie sind. Aber das Allerschönste war: Doktor Simpson kam und entwurmte mich. Und du weißt doch, Doc Simp war schon immer meine große Liebe – da kannst du dir vorstellen …«
    Das war zu viel für Lady Montdore, und Linda wurde nie wieder eingeladen. Aber ich war in den Ferien fast jedes Mal eine Woche dort, wurde auf dem Weg nach Alconleigh oder auf dem Heimweg einfach dort deponiert, wie man das mit Kindern eben so macht, ohne zu fragen, ob es ihnen gefällt und ob sie überhaupt wollen. Mein Vater war durch seine Mutter mit Lord Montdore verwandt. Ich war ein braves Kind, und ich glaube, Lady Montdore hatte mich ganz gern, jedenfalls muss sie mich für »passend« gehalten haben, ein Ausdruck, der in ihrem Wortschatz eine wichtige Rolle spielte. Irgendwann jedenfalls war einmal die Rede davon, ich könnte auch während der Schulzeit in Hampton wohnen und zusammen mit Polly Unterricht bekommen. Aber als ich dreizehn war, reisten sie ab, um Indien zu regieren, und nachher verblassten Hampton und seine Besitzer für mich zu einer verschwommenen und dennoch stets beunruhigenden Erinnerung.

2
    Als die Montdores und Polly aus Indien zurückkehrten, war ich herangewachsen und hatte schon eine Saison in London hinter mir. Lindas Mutter, meine Tante Sadie (Lady Alconleigh), hatte mich zusammen mit Linda »eingeführt«, das heißt, wir hatten eine Reihe von Debütantinnenbällen besucht, auf denen die Leute, die wir kennenlernten, ebenso jung und ebenso schüchtern waren wie wir selbst – und das alles hatte sehr nach Trockenschwimmen ausgesehen; mit der wirklichen Welt hatte es nichts zu tun, und als Vorbereitung auf sie taugte es genauso viel wie ein Kindergeburtstag. Gegen Ende des Sommers verlobte sich Linda, und ich kehrte nach Kent zurück, wo ich bei meiner anderen Tante und meinem anderen Onkel, Tante Emily und Onkel Davey, wohnte, die meinen geschiedenen Eltern die beschwerliche Aufgabe abgenommen hatten, ein Kind großzuziehen.
    Ich langweilte mich zu Hause, wie es jungen Mädchen ergeht, wenn sie die Schulzeit hinter sich haben und keine Partys bevorstehen, mit denen sie sich in Gedanken beschäftigen können – doch eines Tages wurde diese Eintönigkeit von einer Einladung unterbrochen, ich solle den Oktober in Hampton verbringen. Tante Emily kam mit dem Brief von Lady Montdore zu mir in den Garten hinaus.
    »Lady Montdore schreibt, es würden hauptsächlich Erwachsene kommen, ›junge verheiratete‹ Leute, sagt sie, aber dich möchte sie als Gesellschaft für Polly dabeihaben. Es werden natürlich auch zwei junge Männer für euch eingeladen. Schade, dass ausgerechnet heute der Tag ist, an dem sich Davey immer betrinkt. Ich muss es ihm unbedingt erzählen, es wird ihn sehr interessieren.«
    Es blieb uns jedoch nichts anderes übrig, als zu warten; Davey war völlig hinüber, und sein Schnarchen erfüllte das ganze Haus. Die Ausflüge meines Onkels in die Intemperenz hatten indessen nichts Lasterhaftes an sich, sie waren vielmehr rein therapeutischer Natur. Er praktizierte seit einiger Zeit ein neues System zur Erhaltung vollkommener Gesundheit, das auf dem Kontinent damals angeblich sehr in Mode war.
    »Das Ziel besteht darin, die Drüsen durch eine Folge von Schocks in Schwung zu bringen. Das Schlimmste, was dem Körper widerfahren kann, ist, dass man sich hinsetzt und ein ruhiges, von regelmäßigen Gewohnheiten erfülltes Leben führt; wenn man das tut, findet der Körper sich nur zu bald mit Alter und Tod ab. Stattdessen muss man die Drüsen aufrütteln und zum Reagieren zwingen, man muss sie in die Jugend zurückscheuchen und unter Spannung setzen, sie dürfen nie wissen, was ihnen als Nächstes bevorsteht – da müssen sie jung und gesund bleiben, um mit all den Überraschungen fertig zu werden.«
    Demgemäß aß er abwechselnd wie Gandhi und wie Heinrich VIII., machte zehn Meilen lange Wanderungen oder lag den ganzen Tag im Bett, zitterte in einem kalten oder schwitzte in einem heißen Bad. Nichts tat er in Maßen. »Auch ist es sehr wichtig, sich hin und wieder zu betrinken.« Aber Davey war so sehr Gewohnheitsmensch, dass er auch das Regelwidrige nur regelmäßig tun konnte, und betrank sich deshalb immer bei Vollmond. Nachdem er eine Zeit lang unter dem Einfluss Rudolf Steiners gestanden hatte, beobachtete er das Zunehmen und Abnehmen des Mondes immer noch sehr genau und hegte, soviel ich weiß, die vage Vorstellung, auch das
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