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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition)
Autoren: István Kemény
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wenige, die darauf hinweisen, dass …“, begann er wieder und siehe da, schon war Tante Judit auf dem Balkon und wies Vater zurecht, dass der Rauch in die Wohnung ziehe.
    „Dann schließ doch die Tür, wir unterhalten uns.“
    Onkel Lajos erledigte die Sache kurz und bündig. Aber Tante Judit reichte das nicht. Sie führte auf dem Balkon eine neue Sitzordnung ein, indem sie unsere Stühle umräumte und Vater ein Stück fettige Alufolie in die Hand drückte, in die er den Zigarettenstummel einpacken sollte, nicht, dass er noch auf die Idee kam, ihn irgendwo auf dem Balkon zu lassen. Danach wandte sie sich an mich, mit der Frage, ob wir denn den kleinen Kater wirklich nicht haben wollten, den sie und Onkel Lajos im Treppenhaus gefunden hatten und uns bereits während des Mittagessens hatten aufdrängen wollen. Onkel Lajos antwortete für mich, indem er Tante Judit anfuhr:
    „Fragseinemutterwirunterhaltenunsgehhinein!“ Er brüllte zwar, aber darin lag keinerlei Wut, nur Sachlichkeit und auch eine Prise Liebe. Er wollte einfach nur Tante Judits störende Aktivitäten im Keim ersticken.
    „Schon gut, ich wollte mich nur mit Tomi über Katerchens Zukunft unterhalten …“
    „Du sollst hier jetzt gar nichts wollen. Geh hinein.“
    Bei ihrem Rückzug sprach sie zu mir:
    „Onkel Lajos hat auch schon einen Namen für Katerchen, stimmt’s, Onkel Lajos, du erzählst doch Tomilein, wie du den Kater getauft hast? Er hat so einen ernsten Namen bekommen, als wäre er ein Beamter. Du erzählst es Tomilein, wenn ihr fertig seid, ja?“
    „Ich erzähle es ihm“, brüllte Onkel Lajos.
    „Hast du gehört? Onkel Lajos erzählt es dir dann“, sagte sie und verschwand in der Wohnung.
    „Es gibt also Spuren“, begann er zum dritten und letzten Mal, „die darauf deuten, dass man die Donau Anfang der fünfziger Jahre um Budapest herumleiten wollte. Rákosi und seine Truppe hatten solche Pläne. Sie hängten es nicht an die große Glocke, verheimlichten es aber auch nicht.“
    Hier kam eine längere Kunstpause als die vorhergehende. Vor Freude lief mir ein Schauer über den Rücken und das aus zwei Gründen. A: Onkel Lajos war ein hervorragender Geschichtenerzähler, B: Er sprach stets über die großen Zusammenhänge in der Welt. Die Gespräche der Männer blieben bei uns in der Familie nie einfache Unterhaltungen, sondern wurden immer zu Beratungen zur Beurteilung der Lage: Welche Hände in der aktuellen welthistorischen Situation die Fäden hielten, was die zu erwartenden Entwicklungen seien und welchen Standpunkt die Familie in diesem Zusammenhang einnehmen sollte. Jetzt sprach Onkel Lajos unmittelbar zu mir. Vater assistierte ihm zerstreut – wobei er nicht zeigte, dass ihm das Thema
Donau
wegen der Geschichte mit dem Wasserkraftwerk von Rácalmás unangenehm war. Er tat so, als wüsste er nicht, worauf Onkel Lajos hinauswollte. Dabei wusste er es natürlich ganz genau. Ich wusste es auch. Vater war sich auch sicher, dass Onkel Lajos ihn – wie stets bei unseren gemeinsamen Feiern – im Laufe des Tages früher oder später angreifen und sein Selbstwertgefühl zu Staub zermalmen würde, und wenn er sich nicht schlagfertig genug zeigte, würde er nach dem Streit als lächerlicher Idiot dastehen, gedemütigt vor den Augen seiner Frau, seiner Töchter und seines Sohnes. Vater bereitete sich innerlich auf diesen offenbar unumgänglichen Zusammenstoß vor, deshalb wirkte er so zerstreut. Das Thema an sich, von dem Onkel Lajos sprach, war nichts Neues für ihn, er selbst hatte mir gegenüber das Umleiten der Donau auch schon erwähnt, wobei er stets hinzufügte, ich solle mir anhören, was Onkel Lajos dazu zu sagen habe, denn dieser habe sich tiefer in die Materie eingegraben. In die Materie, die drei Stockwerke unter uns floss.
    „Der Anfang des neuen Flussbetts wäre irgendwo unter Vác gewesen“, erklärte Onkel Lajos, „ungefähr bei Sződ, und es wäre in einem großen Halbkreis um die Stadt verlaufen, fast bis Tass. Auf der Strecke Fót, Mogyoród, Pécel, Üllő und so weiter. Man hätte es schön um die Pester Seite der Stadt herumgeführt. Die Donau wäre elegant mitten durch die Hügel von Gödöllő geflossen und erst weit unterhalb der Stadt in ihr eigenes Flussbett zurückgekehrt. Irgendwo in der Nähe von Dömsöd. Eine Strecke von neunzig Kilometern! Da hätten sie ganz schön zu tun gehabt. Man wollte den durch Szentendre laufenden Donauzweig bei Kisoroszi verschließen und die vor uns verlaufende Strecke
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