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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wiedersehen; es war ein Abschied für immer. Gott segne dich, Mütterchen Rußland. Du bist ewig, wir wissen es, und das tröstet uns. Unsere Herzen bleiben bei dir zurück, wir retten nur unsere Körper. O mein Gott, wende nie deinen Blick von Rußland!
    Sie standen an der Reling und hielten sich an den Händen fest, alle eine große Familie im gemeinsamen Schmerz … Der Schneider und der Fürst, der Bäcker und der Advokat, der Graf und der Kutscher, der General und der Schuhputzer. Brüder, wir sind doch alle Russen, und dort versinkt unsere Heimat für immer …
    Major Sternberg wartete am Kai, bis der schwere schwarze Koloß von der Nacht aufgesaugt worden war. Dann wandte er sich ab und blickte über die riesige Menge außerhalb der Absperrungen, die noch immer auf Schiffsplätze wartete. Sie sind verloren, dachte er, und steckte sich mit bebenden Fingern eine Zigarette an. Die Rote Armee steht vor der Stadt, die Partisanen im Stadtgebiet haben schon ganze Viertel in ihrer Hand. Die Disziplin zerbröckelt und es wird nicht lange dauern, da laufen auch meine Leute zu den Roten über.
    In vier Tagen kommt ein Schiff nach Schweden. Wir müssen uns noch vier Tage halten! Zum Glück konnte er nicht wissen, daß er Schweden nie erreichen würde. Beim ersten Artillerieüberfall der Roten Armee auf Wladiwostok zerfetzte ihn ein Granatvolltreffer.
    »Jetzt sieht man nichts mehr«, sagte Grazina leise und lehnte sich frierend an Gregor. »Rußland ist weg …«
    »Ich rieche es noch …«, stammelte Tschugarin, und Tränen rannen ihm über die Wangen.
    »Unmöglich!« Luschek schüttelte den Kopf und klopfte gegen seine rechte Manteltasche. »Wat du riechst, is ne Pulle Wodka, die ick noch erobert habe.«

XV
    Am 20. Mai 1920 fand in einer kleinen orthodoxen Kirche von Paris eine Trauung statt.
    Miteinander verheiratet wurden der Zeitungsverkäufer Gregor von Puttlach und die Weißnäherin Grazina Wladimirowna Michejewa, wohnhaft in der Rue Gabrielle, unterhalb von Sacré-Cœur. Die Trauung nahm der Pope Semjon Lukanowitsch Tujan vor, und als Trauzeugen standen hinter dem Brautpaar ein gewisser Iwan Iwanowitsch Jerschow, Portier einer Bar auf der Place Pigalle, und Fjodor Iwanowitsch Tschugarin, der einen Leichenwagen der Firma ›Der letzte Weg‹ fuhr.
    Das war aber noch nicht alles, was dieser Hochzeit ein besonderes Gepräge gab. Der Sitte gemäß sang in der russischen Kirche ein Chor mit einem Vorsänger, und dieser Vorsänger besaß eine wunderschöne Tenorstimme, aber sein Russisch klang schauderhaft. Es war Luschek, der mit Gregor in Paris geblieben war. Er hatte am Seineufer eine Holzbude eröffnet, in der er Bockwürste verkaufte, Reibekuchen, Buletten mit Senf und Rollmöpse. Da die Franzosen so etwas kaum kannten, ging das Geschäft gut.
    Als die Trauung begann, standen vor der Kirche eine Menge Autodroschken. Sie parkten bis in die Seitenstraßen hinein, nicht weil sie so viele Fahrgäste gebracht hatten, sondern weil alle Chauffeure in der Kirche waren, Kerzen in den Händen hielten und inbrünstig in russischer Sprache mitsangen. Der Fürst Murskij-Lubkowitz, der Fürst Sandoletz, die Grafen Chibatse, Patronowskij und Wimagradeff, die Fürsten Tumolew, Halianabaw und Koplow-Sanorskij.
    Eine illustre Gesellschaft, und alle waren Pariser Taxifahrer oder Nachtklubportiers.
    Es war eine ergreifende, feierliche Stunde. Nicht nur, weil die Comtesse Michejew heiratete – und wer kannte von den hier in der Kirche stehenden und singenden hochadeligen Chauffeuren und Portiers nicht den Grafen Michejew und seine betörend schöne Frau Anna Petrowna, die Gräfin, die so grausam umgekommen war –, sondern auch, weil der Pope Tujan, ehemals Armeepriester der Koltschak-Armeen, die Trauung vornahm, und auch weil Jerschow, Bataillonskommandant der Roten Armee und Sektionschef des Tobolgebietes, Trauzeuge war.
    Iwan Iwanowitsch Jerschow stand hinter Grazina Wladimirowna und hielt nach orthodoxem Ritus eine kleine goldene Krone über ihr Haar. Unter buschigen Augenbrauen starrte er den Priester an. Neben ihm stand Tschugarin und hielt das Krönchen über Gregors Kopf und sang dabei so laut und falsch, daß selbst der brave Vorsänger Luschek sich verzweifelt über die Stirn wischte.
    Wie war das alles gekommen?
    Eines Tages hatte ein magerer, bleicher Mann vor der Tür des Hauses Nr. 10 der Rue Gabrielle gestanden und geklingelt. Und als Gregor öffnete, hatte der Mann gesagt: »Erkennen Sie mich noch, Gregorij
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