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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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…«
    »Das müssen Sie mir näher erklären, Herr Oberleutnant«, sagte Sternberg und zeigte auf einen Stuhl. »Nehmen Sie Platz. Was Sie da andeuten, ist ja unglaublich! Zigarette? Kognak? Ich habe schon viele Fluchtwege erlebt, aber so etwas …«
    Gregor blieb bei Major Sternberg, bis dieser abgelöst wurde. Aber nach diesen zwei Stunden hatte er den Eindruck, daß ihm geglaubt wurde. Sternberg verabschiedete sich von Gregor vor der Hafenverwaltung.
    »Ich werde mich um Ihren Fall kümmern, Herr von Puttlach«, sagte er. »Ich werde ihn dem Kommandierenden General Simjew vortragen. Wo wohnen Sie?«
    »Im Lagerhaus römisch zwölf, östlicher Hafenteil. Wir haben dort vier Matratzen an der Schmalwand der Halle …«
    Major Sternberg verzog das Gesicht zu einem verzerrten Lächeln. »Ich kann Ihnen nichts versprechen, Herr Oberleutnant …«, sagte er langsam.
    »Ich weiß, Herr Major!«
    »Wohin möchten Sie am liebsten? Frankreich, England, USA, Spanien …?«
    »Frankreich wäre uns am liebsten, Herr Major.«
    »Merkwürdig – alle nach Frankreich! Die meisten Grafen und Fürsten – nach Frankreich! Diese Sehnsucht der Russen ist ein psychologisches Phänomen! Ich werde mit General Simjew sprechen, aber werden Sie nicht ungeduldig, wenn es lange dauert, ehe Sie etwas hören.«
    Es dauerte lange, bis zum ersten Schneefall. Dreimal in der Woche sprach Gregor bei Major Sternberg vor, und jedesmal hieß es: Noch nichts! Zwar war Sternberg ein vollendeter Kavalier. Nachdem er Grazina kennengelernt hatte, lud er das Paar zum Essen ein, bei dem es wahre Köstlichkeiten gab, von der Gans bis zum Hasen, obwohl in der Stadt bereits eine Art Hungersnot herrschte – aber einen Platz auf einem Schiff bekamen sie nicht.
    Dafür stieg Luschek in das Matratzengeschäft ein. Irgendwo im Hafen, keiner wußte, wo, hatte er vier Matratzen organisiert und vermietete sie jetzt nächteweise. »Ick wollte schon immer Unternehmer werden, Herr Oberleutnant«, sagte er treuherzig. »Nach meiner Militärzeit wollte ick einsteigen in den Handel. Det es nu grade in Wladiwostok is, det machen die Zeitumstände …«
    Am 12. Februar 1919, einem bitterkalten Tag, kam Major Sternberg selbst ins Matratzenlager zu Gregor und Grazina. In der Lagerhalle dampften Eisenöfen, auf den Straßen erfroren die Menschen, die kein Dach über dem Kopf hatten. Sternberg setzte sich auf Tschugarins freie Matratze, denn der war unterwegs, um, wie Luschek, Geschäfte zu machen. Er vermietete zwar keine Nachtlager, aber er hatte sich drei Mädchen aufgegriffen – auch Flüchtlinge haben Freude an der Natur!
    Sternberg beugte sich zu Grazina vor und sagte leise:
    »In drei Tagen läuft die ›Yvette Labouche‹ aus, nach Marseille. General Simjew hat vier Plätze freigemacht. Im Zwischendeck, aber die Hauptsache, Sie kommen nach Frankreich …«
    »Wie soll ich Ihnen danken?« fragte Grazina. Plötzlich weinte sie und lehnte sich an Gregors Schulter. »Ohne Sie, Semjon Ipatjewitsch …«
    »Ich werde sehen, für mich ein Schiff nach Schweden zu bekommen«, sagte Sternberg dunkel. »Überall lösen sich die Fronten auf. In der Ukraine, in weiten Teilen Sibiriens, am Don, im Kaukasus, auf der Krim – überall siegen die Roten Armeen. Das alte Rußland gibt es nicht mehr, wird es nie wieder geben! Ich werde versuchen, in Schweden Fuß zu fassen. Da habe ich wenigstens wieder die Ostsee vor mir – ein Stückchen Heimat!«
    Er stand auf, die Sentimentalität war überwunden. »Kommen Sie übermorgen zum Kai neun, da liegt das Schiff. Die Einschiffung beginnt in der Nacht. Ich werde an der Sperre sein und Ihnen den Passeport geben. Sie heißen weiterhin Fatalew, Lubnokow und Tschugarin. Bis übermorgen nacht!«
    Er grüßte und stieg über die auf den Matratzen Schlafenden. Am Eingang der Halle winkte er noch einmal kurz.
    In der Nacht vom 15. zum 16. Februar fuhr die ›Yvette Labouche‹ aus dem Hafen von Wladiwostok. Ohne Abschiedssirene, ohne Musik, ohne Beleuchtung, bis auf die vorgeschriebenen Positionslampen. Wie ein riesiges schwarzes Gespenst glitt das Schiff ins Meer hinaus und wurde bald von der Dunkelheit verschluckt.
    Major Sternberg stand am Kai 9 und winkte der ›Yvette Labouche‹ nach. Er wußte, daß man ihn nicht sehen konnte, auch wenn Gregor und Grazina, Tschugarin und Luschek oben auf dem unbeleuchteten Deck standen und, mit Hunderten anderer Flüchtlinge, stumm, weinend oder betend auf die schwindende Küste Rußlands starrten. Es gab kein
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