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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Maximowitsch? Lassen Sie mich ein wenig bei sich ausruhen?«
    »Jerschow!« schrie Gregor und zog den mageren Mann in die Wohnung. Er war gerade vom Austragen seiner Zeitungen zurückgekommen und kochte jetzt Kaffee, weil Grazina um 9 Uhr im Atelier der Weißnäherei sein mußte. »Grazina! Komm her, komm schnell her … Iwan Iwanowitsch ist gekommen! Nein, so etwas!«
    Zuerst trank und aß Jerschow, als sei er halb verhungert und verdurstet. Dann lag er auf dem Sofa, starrte die Decke an und rauchte langsam eine Zigarette. Gregor ließ ihm Zeit. Grazina war zu einer Nachbarin gelaufen, die im Atelier anrief. Mademoiselle Michejew sei leider plötzlich erkrankt und könne heute nicht kommen.
    »Was ist?« fragte Gregor, als Jerschow noch immer schwieg. »Sind Sie wieder ein Vorposten Lenins? Wollen Sie jetzt Frankreich bolschewisieren?«
    »Sie haben mich zum Tode verurteilt«, sagte er müde. »Über Persien konnte ich flüchten.«
    »Sagen Sie das noch einmal, Iwan Iwanowitsch! Ihre eigenen Genossen haben Sie zum Tode verurteilt? Einen Freund Lenins?«
    »Ich war auch ein Freund von Kerenskij und Trotzkij … das waren zuviel Freundschaften. Sie kennen doch die Sache mit Trotzkij? Außerdem ist da ein Stalin, und Lenin beginnt zu kränkeln. Sie waren noch so brüderlich, mir einen Wink zu geben. So war ich schon fort, als man mich verhaften wollte.«
    Jerschow schwieg, drehte sich auf die Seite und schlief ein.
    Er blieb bei Gregor und Grazina, bis er eine Stelle fand – als Portier –, und im Keller der Bar, wo er arbeitete, wohnen konnte. Es war nur ein Verschlag, aber es war dort warm, und er bekam freies Essen und Trinken, und, wenn er Lust hatte, besuchte ihn auch eines der Ballettmädchen dort.
    Notgedrungen stieß Jerschow sehr bald mit Tujan, dem Popen, zusammen, dem es ebenfalls gelungen war, nach Frankreich zu kommen. Da fast alle Träger großer russischer Namen nach Paris flüchteten, war es nicht verwunderlich, daß man sich traf. Wer am Zarenhof, in Peterhof und Zarskoje Selo auf dem Parkett gestanden hatte, fuhr heute Taxis oder öffnete Barbesuchern die Tür zu nackten Darbietungen. In den freien Stunden aber kam man zusammen, redete viel von einer Rückkehr nach Rußland, schimpfte auf ›Die Roten‹ und wußte doch im Innern ganz genau, daß man sich selbst überlebt hatte. Paris würde die neue Heimat bleiben, das neue Leben, das Verklingen einer großen Epoche und das Verlöschen großer Namen.
    Tujan sah Jerschow bei einer Begegnung in Gregors Wohnung geradezu erfreut an, gab ihm die Hand und sagte: »Die Kirche ist doch stärker! Komm am Sonntag in meinen Gottesdienst … Du wirst sie alle wiedersehen! Wo aber sind deine Genossen, Iwan Iwanowitsch? Hingerichtet, nach Sibirien verschleppt, durch Selbstmord geendet … Ihr seid von eurer Revolution aufgefressen worden!«
    Nun also heirateten Gregor und Grazina endlich, der Kirchenchor sang, Luschek, der Vorsänger, jubilierte in seinem schlechten Russisch, und Tujan segnete die Liebenden und versprach ihnen Gottes reichen Segen.
    Welch ein Tag! Über Paris hing ein Himmel wie Seide, Frühlingsduft durchzog die Stadt, und das Taxi des Fürsten Murskij-Lubkowitz war mit weißem Flieder geschmückt, denn er hatte die Freude und die Ehre, das Brautpaar zu fahren. Gegessen wurde im russischen Restaurant ›Datscha‹, welches – man sehe daran, wie sich alles verschiebt – keinem Großfürsten gehörte, sondern einem Zuckerbäcker aus Kasan, der bereits 1910 Rußland verlassen hatte. Ein weitsichtiger Mann …
    »Ich liebe dich«, sagte Gregor leise, als er mit Grazina die Kirche verließ. Sie wurden von Luscheks hellem Tenor und dem Chor besungen, Tujan und Jerschow folgten ihnen, einträchtig nebeneinander … Nur Tschugarin mußte die Feier früher verlassen. Als Leichenfahrer hat man Verpflichtungen, und gerade seine Kundschaft konnte nicht warten, obgleich sie doch eigentlich jetzt genug Zeit hatte.
    »Ich liebe dich«, wiederholte Gregor. »Es ist wie am ersten Tag … und es wird nie anders sein. Vom ersten Blick an wußte ich, daß ich dich nie wieder hergeben würde. Du standest damals an einer Säule …«
    »Beim Silvesterball des Zaren in St. Petersburg. Das Ballett tanzte, und du hast zu mir gesagt …«
    »Comtesse halten nicht viel vom Tanz? Ich weiß es noch genau …«
    »Und später auf der Terrasse, es war eisig kalt, hast du mich zum erstenmal geküßt …«
    »Und dein Vater beobachtete uns und forderte mich zum Duell
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