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Someone like you - Dessen, S: Someone like you

Someone like you - Dessen, S: Someone like you

Titel: Someone like you - Dessen, S: Someone like you
Autoren: Sarah Dessen
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|9| Kapitel eins
    Ich kann mich nicht an eine Zeit erinnern, in der Scarlett Thomas
nicht
meine beste Freundin gewesen wäre. Deswegen wusste ich sofort, als sie mich während der schlimmsten Woche meines Lebens – im Emanzencamp, zu dem mich meine Mutter verdonnert hatte – anrief, dass etwas nicht stimmte. Ich wusste es, als ich nur ihre Stimme am anderen Ende der Leitung hörte. Wusste es, bevor sie etwas gesagt hatte. Wusste es einfach.
    »Es ist wegen Michael«, meinte sie ruhig. Ihre Stimme drang aus weiter Ferne verzerrt zu mir. »Michael Sherwood.«
    »Was ist mit Michael?« Die Leiterin des Emanzencamps, sorry: des Ferienlagers, eine Dame namens Ruth mit kurzen Haaren und Birkenstocksandalen, trat neben mir ungeduldig von einem Bein aufs andere. Denn eigentlich sollten wir uns dort gar nicht anrufen lassen, sondern uns von der Außenwelt, von allen Anforderungen unseres persönlichen Umfelds im Besonderen und der Gesellschaft im Allgemeinen abschirmen, auf dass wir bessere, klügere, stärkere, selbstbewusstere weibliche Wesen würden. Vor allem sollten wir uns nicht um Mitternacht an einem Dienstag anrufen lassen; denn die logische Konsequenz daraus war, dass Ruth mich aus meinem knarrenden Bett und |10| quer durchs Wäldchen in ihr Büro gejagt hatte, in dem es entschieden zu hell war. Zu einem Telefon, das schwer in meiner Hand lag.
    Scarlett seufzte tief. Irgendetwas war passiert, so viel stand fest. »Was ist mit ihm?«, fragte ich noch einmal. Ruth wirkte extrem genervt; garantiert dachte sie, dass es sich nie und nimmer um einen Notfall handelte.
    »Er ist tot.« Scarletts Stimme klang gleichmäßig, monoton. Als müsste sie das kleine und das große Einmaleins hintereinander aufsagen. Im Hintergrund hörte ich, wie etwas klirrte, hörte Wasser plätschern.
    »Tot?«, fragte ich. Ruth blickte mich plötzlich alarmiert an. Ich wandte mich von ihr ab. »Wie?«
    »Ein Motorradunfall. Heute Nachmittag. Zusammenstoß mit einem Auto, auf dem Shortcrest Drive.« Wieder dieses Wasserplätschern. Mir wurde klar, dass sie Geschirr spülte. Scarlett, meine tüchtige, patente Scarlett, würde auch dann noch das bisschen Haushalt erledigen, wenn um sie herum eine nukleare Apokalypse tobte.
    »Er ist tot«, wiederholte ich. Auf einmal wirkte der Raum, in dem ich telefonierte, sehr klein, geradezu beengt. Als Ruth den Arm um mich legte, wich ich aus, trat einen Schritt zurück. Ich sah Scarlett vor mir, am Spülbe cken in der Küche, in abgeschnittenen Jeans und einem T-Shirt , das Haar zu einem straffen Pferdeschwanz zusammengebunden; den Telefonhörer hatte sie zwischen Schulter und Ohr geklemmt. »O mein Gott, das ist ja furchtbar!«
    »Ja«, antwortete Scarlett nur. Das Wasser floss mit einem lauten Gurgeln ab. Sie weinte nicht. »Ja.«
    Dann schwiegen wir. Am Telefon. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Das einzige Geräusch ein leises Summen in |11| der Leitung. Ich wollte durchs Kabel zu ihr kriechen, am anderen Ende der Leitung in ihrer Küche auftauchen, bei ihr sein. Michael Sherwood, ein Junge, mit dem wir aufgewachsen waren, ein Junge, den eine von uns beiden geliebt hatte. Weg, fort, verschwunden, aus.
    »Halley?«, sagte Scarlett schließlich leise.
    »Ja?«
    »Kannst du nach Hause kommen?«
    Ich sah durchs Fenster in die Dunkelheit, auf den See, der im Mondlicht schimmerte. Es war Ende August, das Ende des Sommers. In einer Woche würde die Schule wieder anfangen. Unser vorletztes Schuljahr.
    »Halley?«, wiederholte sie. Ich wusste, wie schwer es ihr fiel, überhaupt zu fragen. Sie war nie diejenige gewesen, die mich brauchte. Immer umgekehrt.
    »Bin schon unterwegs«, antwortete ich, in jenem grell erleuchteten Raum, in jener Nacht, in der alles begann. »Halt durch.«
     
    Michael Alex Sherwood starb um kurz vor neun Uhr am Abend des 30.   August. Er bog vom Shortcrest Drive links in die Morrisville Avenue ab, als ein Geschäftsmann in einem BMW frontal mit ihm zusammenstieß, wodurch Michael von dem Motorrad, das er erst seit Juni besessen hatte, sieben Meter durch die Luft geschleudert wurde. In der Zeitung stand, er sei sofort tot gewesen. Das Motorrad war komplett zertrümmert. Schuld an dem Unfall trug er nicht. Michael Sherwood war sechzehn Jahre alt.
    Außerdem war er der einzige Junge gewesen, den Scarlett in ihrem bisherigen Leben wirklich geliebt hatte. Wir kannten ihn, seit wir Kinder gewesen waren, fast so lange, wie wir einander kannten. Das Viertel, in dem wir alle |12| wohnten,
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