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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stolz darauf.
    »Kommen Sie«, sagte Michejew und ging voraus. Gregor folgte ihm, schloß die Tür und blieb stehen. Wozu dieser Zimmerwechsel? dachte er. Was zu sagen ist, kann man auch in der kleinsten Kammer sagen …
    Michejew stellte sich an den hohen Marmorkamin der Längswand und betrachtete den deutschen Offizier, als müsse er ein Roß kaufen. Gregor hielt dem Blick stand, aber eine Art Unbehagen kroch in ihm hoch.
    »Falls Sie den Mut haben sollten, nach meiner Tochter zu fragen: Grazina befindet sich bereits auf dem Weg zu unserem Landgut Trasnakoje.«
    »Sie haben sie in die Verbannung geschickt, Exzellenz?« Plötzlich war Gregors klare Stimme heiser.
    »Mein Landgut ist keine Verbannung, sondern ein Ort der Erholung. Ich bin der Ansicht, daß meine Tochter eine gewisse Zeit der Besinnung nötig hat. Es war nach halb vier heute morgen, als sie endlich aus dem Schlitten stieg …«
    »Exzellenz …«
    »Ich habe es gesehen, ich stand am Fenster. Glauben Sie, ein Vater könnte schlafen, wenn er seine einzige Tochter nachts unterwegs weiß – auch wenn ihr Begleiter ein deutscher Offizier ist? Und dann – auch noch Sie! Halten Sie mich für so ahnungslos, daß ich Ihren Ruf in den Petersburger Salons nicht kenne? Der charmante Gregorij! Mehr braucht man nicht zu sagen, und jedermann weiß, wer gemeint ist! Und dieser Mensch schleicht sich an meine Tochter heran … an meine Tochter! Und bleibt mit ihr aus bis halb vier Uhr morgens! Ich wundere mich, daß mich nicht der Schlag getroffen hat.«
    »Darum bitte ich Eure Exzellenz, eine Erklärung abgeben zu dürfen.«
    »Ich habe gesehen, wie meine Tochter Sie geküßt hat. Sie stieg aus dem Schlitten, winkte Ihnen zu, rannte dann zurück und küßte Sie! Erst danach kam sie ins Haus …«
    »Exzellenz …«
    »Lassen Sie das Exzellenz weg und nennen Sie mich Wladimir Alexandrowitsch.«
    »Das würde ich mir nie erlauben …«
    »Ich erlaube es Ihnen, Gregorij … Wie hieß Ihr Vater?«
    »Max …«
    »Also, Gregorij Maximowitsch!« Michejew fuhr mit der gespreizten rechten Hand durch seinen eisgrauen Bart. »Ich weiß nicht, ob Sie soviel Intelligenz besitzen, um bemerkt zu haben, daß ich sagte: Meine Tochter küßte Sie. Ich habe es ja selbst gesehen, nicht Sie haben meine Tochter, sondern Grazina hat …«
    »Ich hatte Grazina Wladimirowna zuerst geküßt, Wladimir Alexandrowitsch«, sagte Gregor fest. Es war eine verrückte Situation. Man redete sich an wie Freunde und war dennoch bereit, sich zu zerfleischen. Und vor allem dies: Ein Vater suchte eine Entschuldigung für seine Tochter und nicht eine Erklärung ihres Liebhabers. »Nach dem Silvertoast, auf der Terrasse.«
    »Auch das habe ich gesehen!« Michejew ging vor Gregor auf und ab. »Sie fordern meine Tochter zum Tanz auf und küssen Sie anschließend – das allein genügte, um Sie hier in meinem Haus auspeitschen zu lassen! Daran kann mich keiner hindern, Ihre Deutsche Botschaft schon gar nicht! Aber meine Tochter duldete Ihren Kuß, sie widersetzte sich mir – zum erstenmal in ihrem Leben –, kommt frühmorgens um halb vier Uhr nach Hause und – küßt Sie! Ich bin nun einmal ein Fanatiker des Rechts! Ich kann diesen Skandal nicht allein auf Ihre Schultern abladen! Meine Tochter ist ebenso schuldig! Nur …« Michejew blieb abrupt vor Gregor stehen. »Diese Feststellungen sind keine Lösungen! Sie haben mein Hau s, meine Ehre beleidigt.«
    »Ich liebe Ihre Tochter, Wladimir Alexandrowitsch«, sagte Gregor laut.
    »Nach ein paar Stunden?«
    »Um zu wissen, was Liebe ist, genügt eine Sekunde! Ein Blick – ein Händedruck – ein einziges Wort …«
    »Und meine Tochter ist solch ein – Sekundenmädchen! Ich könnte Sie dafür von meinen Hunden zerreißen lassen!«
    »Und ich würde jeden vor meine Pistole fordern, der Grazina ein ›Sekundenmädchen‹ zu nennen wagt! Nur weil Sie ihr Vater sind, schlucke ich dieses Wort. Und weil wir uns wirklich lieben …« Gregor nahm wieder seine militärisch-straffe Haltung an. »Wladimir Alexandrowitsch, ich bitte Sie in aller Form um die Hand Ihrer Tochter Grazina Wladimirowna.«
    Michejew nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. »So einfach denkt ihr euch das? Seht euch an, fallt euch um den Hals, und zerstört ebenfalls in Sekunden alle Traditionen der Michejews! Nun erwartet ihr, daß ich sage: Mein Sohn, knie nieder, empfange meinen Segen, komm an meine Brust – ich bin der glücklichste Vater der Welt! Bin ich ein vertrottelter Greis,
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