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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Puttlach, haben Sie denn gar keine Ahnung, was Sie da ausgelöst haben? Wie lange ging denn das noch weiter?«
    »Bis heute morgen gegen drei Uhr, Herr Oberst.« Gregor von Puttlach blickte an dem Oberst vorbei. An der Wand hing ein Bild, das die drei letzten deutschen Kaiser zeigte, umschlungen von den Fittichen des deutschen Adlers. Ein kitschiges Gemälde, dachte Gregor, aber es zeigt Nationalstolz. »Ich habe Comtesse Grazina Wladimirowna dann in einem Pferdeschlitten nach Hause gebracht!«
    »Um drei Uhr morgens?«
    »Um halb vier, Herr Oberst! Ungefähr eine halbe Stunde blieben wir vor dem Palais im Schlitten sitzen.« Er sah, wie der Oberst zusammenzuckte und fügte schnell hinzu: »Der Schlitten war dick mit Pelzen ausgelegt, Herr Oberst. Die Comtesse hat sich bestimmt nicht erkältet …«
    »Bestimmt nicht!« Von Semrock brüllte plötzlich. »Spielen Sie hier nicht den Unschuldigen, Herr Oberleutnant! Bei mir nicht! Das können Sie vor dem General Michejew versuchen, aber der wird Sie aus seinem Palast ohrfeigen! Und damit dürfte Ihre Karriere als deutscher Offizier beendet sein. Endgültig! Knutscht draußen nachts im Schlitten herum, als sei die Comtesse ein Wäschermädchen aus der Altstadt! Haben Sie denn überhaupt kein Gefühl für Anstand mehr? Mein Gott, das ist ja alles noch schlimmer als ich dachte! Wie wir Michejew kennen, hat er im Palais mit der Uhr in der Hand gesessen und auf seine Tochter gewartet. Und sich aufgeladen mit der ganzen Wut und mit den Rachegedanken, zu denen nur ein Russe fähig ist! Himmel! Ich sollte Sie auf der Stelle degradieren – und ich täte es, wenn ich dazu berechtigt wäre!«
    Der Oberst beruhigte sich etwas, holte ein paarmal tief Atem und sprach dann in normalem Ton weiter: »Wie denken Sie sich die Aussprache mit Graf Michejew?«
    »Ich warte ab, Herr Oberst!«
    »Er wartet ab! Wir zerbrechen uns den Kopf, wie wir Ihnen aus der Patsche helfen können – schließlich sind Sie ein Mitglied der Deutschen Botschaft, und die ganze Affäre kann politisch hochbrisant werden, gerade jetzt, wo wir wissen, daß Rußland heimlich aufrüstet – und Sie … Sie warten ab! Es ist unglaublich!«
    Gregor schwieg. Wenn der Oberst alles wüßte, und nicht nur diese Teilwahrheiten, er würde sofort verfügen, daß er mit dem nächsten Zug St. Petersburg verließe, dachte Gregor von Puttlach. Flüchten Sie! würde er brüllen, Sie Vollidiot! Nun kann Sie keiner mehr schützen!
    Das war vor einer halben Stunde gewesen. Vorher hatte Gregor den Kopf in eine Schüssel mit eiskaltem Wasser gesteckt, um die Müdigkeit zu vertreiben. Sein Bursche, der Obergefreite Luschek, hatte einen starken Tee gekocht, mit viel Zucker, und das hatte ihn dann vollends munter gemacht. Hauptmann von Eimmen kam noch herüber, wunderte sich, daß sich Gregor noch nicht erschossen hatte und nahm Abschied von ihm, als läge er schon im Sarg.
    »Du bist ein Pessimist«, hatte Gregor gesagt, als er sich die Ulanenjacke zuknöpfte. »Auch Michejew ist ein Mensch.«
    »Warte es ab!« Hauptmann von Eimmen blieb in der Tür stehen. »Ein beleidigter russischer Vater ist nur mit einem reißenden Wolf zu vergleichen.«
    An diese letzten Worte von Eimmens mußte Gregor jetzt denken, als er vor dem riesigen Spiegel stand und sich betrachtete. Die Glocken der Kasaner Kathedrale schlugen elfmal. Irgendwo in dem weiten Palais bekreuzigte sich jetzt Anna Petrowna und sprach ein kurzes Gebet …
    Die Tür schwang auf, gleichzeitig fuhr Gregor herum und nahm Haltung an. Mit dem letzten Glockenschlag betrat Graf Michejew, in der Uniform eines russischen Generals und mit allen Orden auf der Brust, das Zimmer. Er war allein und drückte eigenhändig die Tür hinter sich zu – eine Tätigkeit, die sonst einem Lakaien zustand.
    »Oberleutnant Gregor von Puttlach meldet sich bei Eurer Exzellenz zur Aussprache«, sagte Gregor steif. »Ich bitte, Eurer Exzellenz eine Erklärung abgeben zu dürfen.«
    »Nein!« Michejew winkte ab. »Was nützen uns Erklärungen?«
    »Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Exzellenz!«
    »Das ist das mindeste, was ich von Ihnen erwarten kann, Herr Oberleutnant.« Der Graf ging an Gregor vorbei, öffnete eine andere Tür und zeigte in den Saal, der sich vor ihnen öffnete. Auch er war im französischen Stil eingerichtet, mit brokatbezogenen Möbeln und einem blitzenden Fußboden aus edelsten Hölzern, die Muster bildeten. Michejew pflegte diesen Saal ›mein Versailler Zimmer‹ zu nennen und war sehr
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