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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Land zum Ausdehnen? Aber das waren Einzelstimmen. Das Volk selbst lebte in dem Glauben, einen ewigen Frieden zu genießen. Die Industrie stand in voller Blüte, das ›neue Zeitalter‹, das Kaiser Wilhelm II. versprochen hatte, war angebrochen. Daß man bei Krupp Kanonen am laufenden Band herstellte, daß die Magazine voll waren von Granaten und Kriegsmaterial, daß auf den Werften neue Kriegsschiffe aller Größen genietet wurden – alles sah man wohl, aber keiner schien zu begreifen, daß man Kanonen nicht herstellt, um sie verrosten zu lassen …
    Krieg? Gegen wen denn? Und vor allem: Warum?
    Einer, der diese Frage präzise hätte beantworten können, war Großfürst Nikolai Nikolajewitsch, der Onkel des Zaren und Oberbefehlshaber der russischen Armee. Mit einem kleinen Kreis von Generälen, zu dem auch Graf Michejew gehörte, arbeitete er seit langem an einem Feldzugsplan gegen Deutschland. Mit den Kosaken in Berlin einziehen – welch ein Traum! Den Westen in die Knie zwingen, diesen verdammten Westen, der immer noch auf Rußland herabschaute, als seien seine Bewohner halbwegs dressierte Wilde.
    Großrußland – ein Reich, das sich nicht weiter nach Osten ausdehnte, sondern zum Westen hin – das war eine Idee, die Nikolai Nikolajewitsch nicht losließ. Das großrussische Reich, von der Nordsee bis zum Japanischen Meer … Die Karte, die Nikolai davon hatte zeichnen lassen, war so faszinierend, daß er oft davor saß und sich sagte, daß noch nie zuvor ein Mensch einen solchen Plan erdacht hatte. Und er, Nikolai Nikolajewitsch, hatte sogar die Möglichkeit, ihn zu verwirklichen! Jetzt hatte sie sich ergeben! Wenn alles so ablief, wie es mit den feinsten Fäden gesponnen worden war …
    Hinzu kam ein persönlicher Haß. Nikolajewitsch hatte es seinem Neffen Nikolaus nie verziehen, daß er eine deutsche Prinzessin geheiratet hatte. Und als dann auch noch seine eigene Frau, die Großfürstin Stana, auf Betreiben der Zarin hin Rasputin nach Zarskoje Selo gebracht hatte und der Wunderheiler mit dem strähnigen Bart und den dreckigen Bauernstiefeln dem Zaren politische Ratschläge gab, verdichtete sich noch der Haß Nikolais gegen die Zarin und damit gegen alles, was westlich war, wie eine verzehrende Krankheit.
    Ein Lichtblick war nur Serbien. Dort waren Fanatiker am Werk, die eine Loslösung von der österreichischen Monarchie mit allen Mitteln anstrebten. Die Nachrichten, die Nikolai aus Serbien bekam, waren vielversprechend. »Die Schwarze Hand«, der nationale serbische Geheimbund, ließ über den russischen Militärattaché in Belgrad, Oberst Artamanow, anfragen, was geschehen würde, wenn man bei dem lange angekündigten Staatsbesuch des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Serbien den Gast ermorden würde.
    Die Konstruktion dieses Plans ist verblüffend simpel, dachte Großfürst Nikolai Nikolajewitsch, nachdem er die Nachricht aus Belgrad erhalten hatte. Österreich und Deutschland haben ein Waffenbündnis auf Gegenseitigkeit. Wir wiederum fühlen uns unseren slawischen Brüdern verpflichtet. Greift Österreich nach dem Attentat Serbien an, werden wir auf Serbiens Seite stehen. Das heißt: Krieg gegen Österreich! Das heißt dann aber auch automatisch: Krieg gegen Deutschland!
    Ein Krieg mit Deutschland aber verpflichtet unsere Bündnispartner Frankreich und England, ebenfalls einzugreifen, denn sie garantieren Rußlands Unangreifbarkeit! Deutschland aber muß uns angreifen – wegen Österreich. Damit wäre der große Krieg da und die Zertrümmerung Mitteleuropas nur noch eine Frage der Zeit. Und wir haben nur wenig Zeit …
    In diesen Tagen drahtete Nikolai Nikolajewitsch, ohne den Zaren davon zu unterrichten, nach Belgrad: Serbien wird nicht allein stehen. Ein Überfall auf Serbien sieht Rußland an seiner Seite.
    Als das Telegramm von St. Petersburg abging, hätte Nikolai jubeln mögen. Die Lunte am Pulverfaß Europa brannte. Im Großen Generalstab wurden neue Aufmarschkarten angelegt. Der erste Stoß sollte auch gleich der tödliche für Deutschland sein: Die Eroberung Ostpreußens!
    Am Tisch, an dem diese Pläne ausgearbeitet wurden, saß auch General Michejew. Darum wußte er jetzt schon genau, wo seine Armee in Deutschland einmarschieren sollte. Und darum hatte er Gregor gefragt, was er im Kriegsfall tun würde.
    »Liebe ist etwas Heiliges, Gregorij Maximowitsch«, setzte Michejew noch hinzu. »Wenn ich an die Liebe zwischen meiner Frau Anna Petrowna und mir denke … Damals war ich
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