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Liebe gegen jede Regel

Liebe gegen jede Regel

Titel: Liebe gegen jede Regel
Autoren: Andrew Grey
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Leuchtstoffröhren. Es riecht nach feuchter Kleidung, nach Schmutz, überfüllten Mülleimern, Urin und dem ganz eigenen Geruch des endlos langen, kalten, tiefschwarzen Tunnelsystems.
    Unausgeschlafen und schlecht gelaunt steht die brave Arbeiterschicht auf dem Bahnsteig und starrt mit sturen Blicken die teilweise abgerissenen und bemalten Werbeplakate an, die überall an den Wänden angebracht sind.
    Das strahlende Lächeln eines verliebten Pärchens, das über einen weißen Sandstrand flaniert und für eine bestimmte Reisegesellschaft wirbt, könnte man fast schon als provozierend und beleidigend bezeichnen.
    Schaut, schaut, ihr Deppen, schaut, was für eine gute Zeit wir haben. Ihr hingegen müsst fünf Tage die Woche, vierzig Stunden lang arbeiten und könnt euch dafür gerade mal zwei Wochen Halbpension auf Mallorca leisten. Ha! Die Bahn hat Verspätung. Warum auch nicht?
    Schnaubend und leise vor sich hinmurmelnd machen die Leute ihrem Unmut Luft.
    Im Stillen addiere ich einige Zahlen zusammen. Kleine Mathematikaufgaben für den Alltag. Das mache ich immer.
    Ich überlege: Die Bahn braucht zehn Minuten bis zum Hauptbahnhof. Ich muss mir noch etwas zum Frühstücken besorgen – ein Zeitaufwand von etwa zwei Minuten. Die Agentur ist zu Fuß sehr gut erreichbar. Wenn ich mich beeile und nicht an jeder Ampel warten muss, benötige ich etwa sechs bis sieben Minuten. Es sind also aufgerundet zwanzig Minuten bis ich im Büro ankomme.
    Ich schaue auf die Uhr. Zwanzig Minuten. Ich hoffe, die beschissene Bahn kommt gleich…
    Da ich Unpünktlichkeit hasse, achte ich immer darauf, zeitig von zu Hause aufzubrechen. Ich komme nie zu spät. Weder im Berufs- noch im Privatleben.
    Sowohl meine Kollegen als auch meine Freunde amüsieren sich gerne über meine Überpünktlichkeit. Ich kann nichts Lustiges daran finden. Ist es jetzt auf einmal uncool oder spießig, wenn man sich an Absprachen hält? Wozu vereinbart man sonst Ort und Uhrzeit?
    Noch einmal wandert mein Blick auf das runde Ziffernblatt meiner Armbanduhr. Ich beiße die Zähne aufeinander und atme tief aus. Um halb zehn habe ich eine sehr wichtige Besprechung mit einem potentiellen Kunden…
    Eine emotionslose, langsame Stimme schallt aus den unsichtbaren Lautsprechern. Sie klingt geschlechtslos und mechanisch. Rauschend breitet sie sich in dem unterirdischen Schacht aus. Die Information ist dermaßen uninformativ, dass sie kaum als eine solche bezeichnet werden kann. Ich verdrehe die Augen.
    Wir erfahren lediglich, dass die U-Bahnlinie sechs Minuten Verspätung hat – was uns ja bereits aufgefallen ist.
    Außerdem werden wir um Geduld und Verständnis gebeten. Beides ehrenwerte Tugenden, die hier aber nur schwer aufzubringen sind.
    Ich hole mein Handy aus der Hosentasche und tippe schnell eine Nummer ein.
    »Agentur Steiner; Werbung und Design; Hilda Illbrich; Guten Morgen.« Die Stimme klingt freundlich, ruhig und offen – genau wie man es von der perfekten Empfangsdame und Chefsekretärin erwarten würde.
    »Hilda, ich bin’s: Max…«, sage ich eilig.
    »Max, guten Morgen, mein Lieber.« Die Stimme legt ihre förmliche Höflichkeit ab. Jetzt ist sie einfach nur noch freundlich und warm.
    »Morgen«, antworte ich knapp. »Du, meine U-Bahn hat Verspätung, würdest du bitte die Unterlagen für den Termin um halb zehn in den großen Konferenzraum bringen? Sie liegen auf meinem Schreibtisch. Es ist schon alles fertig gemacht… blaue Plastikmappen, sieben Stück…«
    »Alles klar«, unterbricht sie mich. Ich weiß, dass sie gerade belustigt lächelt. »Ich kümmere mich darum.«
    »Danke.« Ich seufze erleichtert. »Für Getränke ist gesorgt?«
    »Selbstverständlich.«
    »Und Beamer und Laptop stehen auch bereit?«
    »Natürlich.«
    »Gut… und…«
    »Max, mach dir keine Gedanken«; unterbricht sie mich freundlich. »Wir haben alles im Griff.«
    »Ich weiß. Tut mir leid.« Ich habe ein schlechtes Gewissen.
    Hilda macht ihren Job seit über fünfundzwanzig Jahren – und sie macht ihn verdammt gut.
    »Ich will nur, dass alles klappt… der Auftrag ist so wichtig…«, erkläre ich ihr und komme mir dabei noch viel dümmer vor. Natürlich ist ihr klar, wie wichtig dieser Kunde ist…
    »Schon gut, Max«, beruhigt sie mich freundlich.
    »Also…« Verlegen beiße ich mir auf die Unterlippe.
    »Bis gleich«, sagt sie.
    »Ja, hoffentlich.«
    Dann lege ich auf.
    Hilda ist eine fantastische Mitarbeiterin. Sie kennt die Abläufe innerhalb der Firma so gut wie keine
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