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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe
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nicht.
    „... habe ihn gewarnt, aber hat wohl den Skipper des Schleppers bestochen, ihn hinauszufahren. Er müsste bald die Sandbank erreichen."
    „Wer?"
    „Irgendein Idiot aus der Stadt."
    Die Vergangenheit holte Jesse ein. Wieder hatte er versagt. Er hätte ahnen müssen, dass Granger hier auftauchte. Er hätte Mary beschützen müssen.
    Das Grauen drohte ihn beinahe zu überwältigen, als Judson ihm einen Zettel mit Grangers Handschrift in die Hand drückte. Er und Annabelle waren mit Mary und Davy auf die offene See hinausgefahren.
    Granger aber nannte ihn in seinen hastig hingeworfenen Zeilen nicht Davy. Er nannte das Kind „meinen Sohn".
    Ein Abgrund tat sich vor Jesse auf, ein Abgrund, der alles verschlang. Nur seinen Zorn nicht. Sein Hass war ihm wohl ins Gesicht geschrieben, denn Judson machte ein besorgtes Gesicht. „Wir müssen überlegen, was zu tun ist, um ihn aufzuhalten ..."
    Jesse wartete nicht länger. Er jagte bereits im wilden Galopp durch den Regen auf den Leuchtturm zu.
    Der Wallach war aufgeregt wie alle Pferde im Sturm. Aber seine Pferde waren nicht ängstlich. Jesse hatte ihnen beigebracht, keine Angst zu haben. Im Gegenteil, D'Artagnan fieberte der Gefahr entgegen. So war es Jesse auch ergangen. Doch das war vor Mary gewesen. Bevor er gelernt hatte, Verantwortung zu übernehmen.
    Er stürmte die gewundene Eisentreppe des Leuchtturms hinauf, drei Stufen auf einmal nehmend, griff sich das Fernglas, stieß die Tür auf und stand auf der eisernen Plattform. Der Wind pfiff durch das Gestänge. Die Brandung schlug so hoch gegen die Felsenklippen, dass Jesse die salzige Gischt auf den Lippen schmeckte.
    Er setzte das Fernglas an die Augen und entdeckte Grangers Schiff, den Schoner Trident, dessen Eigner die Shoalwater Bay Company war. Das Schiff war nur etwa eine halbe Meile entfernt, hätte aber genauso gut in einer anderen Welt sein können. Jesse konnte die Trident sehen, und dennoch war sie unerreichbar.
    Es sei denn ...
    Es sei denn, er nahm ihre Verfolgung auf. Alles in ihm sträubte sich gegen diesen Gedanken. Aber bei Gott, es ging um Mary! Er musste sie retten. Das Lotsenboot lag in der kleinen Bucht. Wenn er hart am Winde segelte, konnte er sie einholen.
    Lähmende Angst breitete sich in ihm aus. Er schaffte es nicht, er konnte nicht in die brodelnde See hinaussegeln. Er würde kentern, der Sturm und das Meer würden ihn verschlingen. Gleichzeitig aber wusste er, dass der Zeitpunkt gekommen war, sich seiner Angst zu stellen. Er musste kämpfen und sich aus den Fängen seiner Angst befreien.
    Dann meldete sich wieder die Vernunft. Der Schoner hatte einen zu großen Vorsprung. Bis er Segel gesetzt hätte, wäre die Trident bereits zu weit draußen.
    Es sei denn ...
    Der wahnsinnige Gedanke durchzuckte ihn wie ein greller Blitz. Er stand auf dem Eisensteg im sturmgepeitschten Regen, hörte das Stampfen der rotierenden Linse, das Heulen des Sturms und wusste, was zu tun war.
    Er war der Leuchtturmwärter von Cape Disappointment. Er kontrollierte das Licht, worauf das Schiff angewiesen war. Seine Lichtsignale lotsten es sicher durch die gefährliche Meerenge hinaus auf die offene See.
    Es sei denn, der Schoner verlor die Orientierung wie damals Emilys Schiff ...
    „Es tut uns unendlich Leid, Mr. Morgan", hatte der alte Leuchtturmwärter gesagt. „In dieser Nacht hatte mein Gehilfe Dienst. Er hat sich pflichtvergessen mit einem vornehmen Herrn aus Portland betrunken und die Lampen verlöschen lassen. Er hat sie einfach ausgehen lassen."
    Jesse spürte einen Übelkeit erregenden Nachhall seines Zorns in jener Nacht vor so vielen Jahren. Und plötzlich begriff er, wer dieser vornehme Herr aus Portland gewesen war - Granger Clapp.
    In seinem Zorn hatte Jesse damals dafür gesorgt, dass der Leuchtturmwärter seinen Posten verlor. Er hatte nie erfahren, wer der Mann aus Portland gewesen war - bis zu dieser Sekunde. Jesse hatte sich geschworen, das Licht niemals verlöschen zu lassen. Kein Schiff in Reichweite seines Leuchtfeuers sollte je das Schicksal von Emilys Schiff ereilen, das damals auf Grund gelaufen und zerborsten war, weil der Leuchtturmwärter seine Pflicht vergessen hatte.
    Jesse traf seine Entscheidung nicht leichtfertig, nicht im Zorn, sondern in eiskalter Überlegung.
    Er wusste genau, was er riskierte. Und er wusste auch, wozu er fähig war. Die vergangenen Jahre hatten ihn viel gelehrt, Jahre, in denen er ungezählte Schiffe durch die Bucht fahren sah, Jahre, in denen er den
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