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Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
Autoren: Sam Gayton
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Schnee arbeiten. Vier habe ich noch nie probiert. Könnte sehr gefährlich sein.«
    Er rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. Dann kippte er den Kopf nach hinten und öffnete den Mund. Lettie erschauerte: Bestimmt würde der Schneehändler jetzt zu schreien anfangen. Aber er hob nur die Hand und ließ sich erst einen, dann zwei, dann drei Tropfen Äther auf die Zunge fallen. Sofort erstarrte sein Körper in seinem Mantel, blaue Fingernägel bohrten sich in eisig weiße Handflächen.
    Die Tropfen taten blitzschnell ihre Wirkung. Schmutzige Eiskrusten bildeten sich um die Schuhe des Schneehändlers, Eiszapfen hingen von seiner Nasenspitze. Seine Augen wechselten von Hellblau zu Elektrischblau zu Ultramarin.
    »Lass die Kälte kommen«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Lass sie bis in die Tiefe Einzug halten.«
    »Alles klar mit Ihnen, Sir?«, fragte Lettie und biss sich auf die Unterlippe.
    »Natürlich nicht!«, keifte er. »Meinst du, mir macht das Spaß, wenn der Äther mir das Blut gefrieren lässt und meine Knochen zum Klirren bringt? Aber ich bin nun mal der Einzige, der sich auf die Erzeugung von Schnee versteht. Und um Schnee herzustellen, muss ich kalt sein.«
    Er hielt Lettie und ihren beiden Gästen die Pipette hin.
    »Und jeder andere auch. Mund auf, bitte.«
    »Nein, das mache ich nicht«, sagte die Glotzerin.
    »Sie machen doch sonst auch immer den Mund auf«, platzte es aus Lettie heraus.
    »Sei nicht so sarkastisch«, gab die Frau zurück.
    »Was heißt sarkastisch ?«, raunte Noah.
    »Ich glaube, das ist ein Wort, das sie in Bohemien für ›frech‹ verwenden«, murmelte Lettie. »Aber ich kann mich auch irren.«
    »Höchst ungewöhnlich«, sagte das Walross.
    »Wenn ihr Schnee sehen wollt«, erklärte der Schneehändler barsch, »dann muss ich ihn zuerst machen. Und damit ich ihn machen kann, müssen die Bedingungen stimmen. Im Moment macht die Hitze, die ihr ausstrahlt, dies unmöglich. Also bitte … nur ein Tropfen. Es kann gar nichts passieren. Selbst wenn ich euch die ganze Flasche in den Rachen kippen würde, würdet ihr nicht daran sterben .« Er lächelte eisig. »Ihr würdet nur nie wieder warm werden.«
    Lettie fing an zu zittern und überlegte, wie es wohl wäre, wenn sie nie wieder damit aufhören könnte.
    »Ich selbst muss immer wieder Äther nehmen, um mit dem Schnee umgehen zu können. Zweimal täglich je drei Tropfen. Ihr braucht nur einen. Ihr werdet eine innere Kälte verspüren, aber das gibt sich nach einer Stunde oder so wieder. Also …«
    Stille erfüllte den Raum. Jeder wog die Entscheidung ab. Aber für Lettie stellte sich die Frage gar nicht. Das Geheimnis hatte sie längst in seinen Bann gezogen: Was war Schnee? Warum war sie die Kundin des Schneehändlers? Und wohin würde all dies noch führen? Sie sah zum Walross und der Glotzerin hinüber – eindeutig, auch sie hatte das Schneefieber gepackt! Einen Alchemisten traf man eben nicht alle Tage. Und dass man einen Alchemisten in Aktion sehen konnte, kam noch sehr viel seltener vor.
    Klack! Klack! ,machten die Gebisse der alten Damen, als sie gleichzeitig den Mund öffneten.
    »Hervorragend«, sagte der Schneehändler und träufelte ihnen je einen Tropfen auf die Zunge.
    Noah war als Nächster dran. Und dann schließlich Lettie. Sie streckte wie alle anderen vor ihr die Zunge heraus. Der Schneehändler drückte seine Pipette zusammen, der Äther tropfte heraus.
    Sofort spürte Lettie, wie ihr inneres Feuer erlosch. Ihr Mund fühlte sich taub an, und das eisige Gefühl breitete sich mit rasanter Geschwindigkeit über den Hals nach unten aus. Sie erzitterte und stampfte mit den Füßen auf, aber sie konnte ihre Zehen schon nicht mehr spüren.
    »Deine Lippen sind ganz blau«, sagte das Walross.
    »Ihre Barthaare auch«, gab Lettie zurück, und das Walross runzelte die Stirn. »Noah, an deinem Stängel hängt ein Eiszapfen! Und da! Sogar von deinem Kinn baumelt ein winziger Zapfen herunter!«
    Sie versuchte zu lachen, zitterte aber nur. Alle scharten sich unter dem Nimbostratus zusammen, die Atemwolken wie milchweiße Fahnen vor sich aufgebläht, und sahen nach oben.
    Der Schneehändler nahm den Eimer und schleuderte der Wolke das schmutzige Wasser entgegen. Sofort verschlang der Nimbostratus jeden Tropfen mit einem gierigen Grummeln. Dann wedelte der Schneehändler die Wolke in die Mitte des Zimmers, bis sie direkt über dem Teppich schwebte. Schließlich reckte er seinen großen
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