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Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
Autoren: Sam Gayton
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»Jetzt gib mir endlich meinen Löffel. Sofort!«
    Er riss Lettie den Löffel aus der Hand und begutachtete ihn von allen Seiten. Noahs orangefarbene Blüte verwelkte, und die Blütenblätter rieselten zu Boden. Dort wo die Blume gewesen war, spross ein Dorn.
    All dies schien der Schneehändler nicht zu bemerken, und wenn doch, kümmerte es ihn nicht. »Du wirst hier warten, bis ich mit meinen Geschäften fertig bin. Dann bringst du mich weg von diesem vermaledeiten Ort, verstanden?«
    Damit hastete er davon, bevor Noah antworten konnte, und fuhr mit seinen geheimnisvollen Vorbereitungen fort. Die zwei alten Frauen saßen gleichermaßen gelangweilt wie wütend in ihren Sesseln. Die Glotzerin ratschte über ihre Zunderbüchse und zündete sich ihre Minzpfeife an.
    Plötzlich hechtete der Schneehändler zu ihr hin, die Pipette nach vorn gereckt. Bevor die Glotzerin auch nur einen Zug nehmen konnte, ließ er einen Tropfen Äther in ihre Pfeife fallen. Sofort gingen die glühenden Minzblätter aus.
    Lettie schmeckte den Äther, der in der Luft lag. Er machte sie ganz schwindlig im Kopf.
    »Was haben Sie mit meiner Pfeife gemacht?«, rief die Glotzerin.
    »Ich kann bei meiner alchemistischen Arbeit keine Wärme dulden. Deswegen bin ich doch hier, im kältesten Raum des zugigsten Gasthauses, am weltweit windigsten Gestade, in den tiefsten Tiefen des Winters.«
    Die Uhr schlug elf.
    »Und jetzt«, verkündete der Schneehändler, »ist die Nacht am finstersten.«
    »Dann zeigen Sie uns jetzt endlich Ihren Schnee«, sagte das Walross.
    »Erst muss ich ihn herstellen«, erwiderte der Schneehändler und näherte sich seinem Mahagonikoffer.

5. Kapitel
    Koffer, öffne dich!

    Der Schneehändler öffnete die Gurte, die um seinen Koffer geschlungen waren, und ließ die Schnallen aufschnappen.
    »Zurücktreten!«, rief er. Sein Mantel bauschte sich wild um ihn herum auf, seine Augen blitzten und funkelten blau.
    Dann klappte er den Kofferdeckel auf – und schon quoll es heraus …
    Das Walross schnappte nach Luft.
    Die Glotzerin rieb sich über die Brillengläser.
    Lettie sah zur Decke hoch.
    »Ist das …?«, hauchte sie mit angehaltenem Atem. »Ist das Schnee?«
    Der Schneehändler schaute an seiner langen, zerklüfteten Nase entlang zu Lettie herunter und lachte. »Ist das Schnee?«, äffte er sie nach. »Hast du etwa noch nie einen Nimbostratus gesehen?«
    Nein, hatte sie nicht. Noch nie im Leben.
    Über den Lehnsesseln und dem Pianola schwebte eine Wolke. Wild wirbelte sie unter der Zimmerdecke herum, als wäre sie verzweifelt auf der Suche nach einem Fluchtweg. Aber Lettie hatte ganze Arbeit geleistet. Nirgendwo klafften mehr Schlitze, durch die sie sich nach draußen hätte zwängen können. Der Schneehändler wedelte die Wolke mit seinem Löffel von den Fenstern weg.
    »Jetzt verstehst du wohl auch, warum ich alle Zuglöcher verstopft haben wollte«, sagte er. »Die Wolke ist ein echter Fluchtkünstler.«
    Lettie war sprachlos. Sie versuchte etwas zu sagen, aber ihr Mund wollte ihr einfach nicht gehorchen. »Wie …?«, stammelte sie. »Was …?«
    »Warum …?«, krächzte sie schließlich. »Warum schwebt eine … Nimbostratus-Wolke durch mein Gasthaus?«
    »Weil ich sie aus meinem Koffer gelassen habe«, antwortete der Schneehändler. »Und das habe ich getan, damit ich Schnee machen kann – für dich, meine neue Kundin.«
    »Aber ich weiß doch nicht mal, was Schnee ist «, wandte Lettie ein und zeigte auf die Wolke. »Und das da möchte ich ganz bestimmt nicht kaufen.«
    »Musst du auch nicht. Das ist ja auch nicht mehr als ein Nimbostratus. Einfach nur …« Er suchte nach dem passenden Wort. »… Zubehör, sozusagen.«
    »Sind Sie nun Alchemist oder Händler?«
    »Beides«, erwiderte er. »Ich handle mit dem, was ich herstelle. Und ich stelle Schnee her.«
    Lettie überlegte. »Aber Alchemisten verwenden Kessel, keine Wolken.«
    »Dann stell dir die Wolke wie einen riesigen Kessel vor«, sagte der Schneehändler selbstzufrieden. »Einen riesigen Kessel voller Schnee. Aber bevor der Kessel überfließen kann, müssen wir kalt genug werden. Wir alle.«
    Er zeigte sein Ätherfläschchen in die Runde.
    Die Glotzerin kniff ihre großen Augen zusammen.
    »Das Ding hat meine Pfeife ruiniert«, schimpfte sie.
    »Das ist Äther, eine Substanz, die Temperaturen verändert. Wenn man einen Tropfen trinkt, werden die Finger ganz blau. Nach zwei Tropfen frieren die Füße am Boden fest. Drei Tropfen und ich kann mit
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