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Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
Autoren: Sam Gayton
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ihm gesagt, er soll einfach meinen Fußstapfen folgen.«
    Mithilfe ihres Fernrohrs suchte Lettie nach den schlammigen, eisigen Spuren des Schneehändlers, die bis in die Stadt hineinführten. »Meinen Sie den Jungen da?«, fragte sie und zeigte auf eine kleine Gestalt in der Ferne.
    »Na endlich«, schnaubte der Schneehändler und stapfte ins Haus. »Zeig ihm bitte den Weg hier rauf.«
    Der Junge näherte sich langsam der Leiter. Er trug einen dicken Mantel mit hochgeschlagener Kapuze. Vorsichtig schaute er zu den knackenden Stelzen und dem darauf ruhenden Gasthaus hinauf.
    Dann sah er Lettie an und winkte.
    Eines fiel Lettie sofort an ihm auf, noch bevor sie den Stängel auf seiner Schulter sah: seine strahlend grünen Augen.

4. Kapitel
    Der Junge, der einen sehr weiten Weg hinter sich hatte

    »Bin ich hier im Gasthaus Zum Schimmel ?«, fragte der Junge.
    »In der Tat, Sir«, erwiderte Lettie und machte einen Knicks.
    »Ich bin kein Sir«, widersprach er, »nur ein Seemann.«
    »Soll ich Sie dann vielleicht Käpt’n nennen?«
    Der Junge schüttelte lachend den Kopf.
    »Sie haben also den Schneehändler hierhergebracht?«, fragte Lettie zweifelnd. Der Junge sah aus, als könne er nicht einmal einen Löffel halten, geschweige denn ein Schiff steuern.
    Er zuckte nur lächelnd mit den Schultern. »Ja. Aber im Moment bin ich einfach nur der Gepäckträger.«
    Er hielt einen Gegenstand hoch, den er in der Hand hatte: einen großen Holzlöffel.
    Dazu fiel Lettie beim besten Willen nichts mehr ein. Argwöhnisch beäugte sie den Jungen. Noch nie hatte sie die Mädchen und Jungen aus Tauschdorf getroffen, die ihre Tage zumeist am Strand verbrachten und zwischen den Kieselsteinen nach Muscheln zum Tauschen suchten. Manchmal sah sie ihnen durchs Fernrohr zu, wie sie sich balgten und lachten und wie die geflochtenen Zöpfe der Mädchen wie zornige Arme um sie peitschten. Von Zeit zu Zeit entdeckten die anderen Kinder Lettie sogar, da oben an ihrem Fenster.
    Dann schrien sie: »Deine Mutter hat immer nur Ärger gemacht!«
    Und: »Dein Vater macht auch jetzt noch immer nur Ärger!«
    Und: »Wo sind denn eigentlich deine Freunde, eh?«
    Aber dieser Junge tat all das nicht. Er pustete nur in seine Hände, um sie zu wärmen, und sagte: »Ich bin weder ein Käpt’n noch ein Sir noch sonst irgendwas. Ich bin einfach nur Noah.«
    Damit kletterte er über die Leiter auf die Veranda. Jetzt, wo er näher bei der Lampe stand, konnte Lettie auch sein Alter abschätzen. Er war vielleicht neun oder zehn. Also jünger als sie!
    »Und ich bin Lettie«, sagte sie. »Und die Wirtin hier. Und ich bin zwölf!«
    Dann nahm sie ihm kurz entschlossen den Löffel aus der Hand und fügte hinzu: »Und fürs Tragen des Gepäcks bin hier ich zuständig.«
    »Danke«, sagte Noah.
    Lettie lächelte. Gemeinsam stampften sie mit den Füßen auf der Veranda auf und gingen hinein.
    Jetzt, wo er beide Hände frei hatte, konnte Noah das lange Tuch abnehmen, das um seine Schultern geschlungen war. »Auf dem Weg vom Hafen hierher musste ich meinen Stängel nach unten biegen. Ich hatte schon Angst, er knickt ab.«
    Als Lettie den grünen Spross sah, der aus seiner Schulter wuchs, wusste sie sofort, dass Noah nicht aus Tauschdorf stammte, ja nicht einmal aus Albion.

    »Du kommst vom Fünften Kontinent!«, platzte das Walross heraus und strich sich über die Barthaare. »Höchst interessant!«
    »Höchst exotisch«, sagte die Glotzerin.
    »Eigentlich weder noch«, sagte Noah.
    Lettie wusste nur wenig über den Fünften Kontinent. Genauso wenig wie jeder andere auch. Der Kontinent war erst vor Kurzem entdeckt worden und besaß noch gar keinen richtigen Namen. Aber Lettie kannte natürlich die Geschichte: Dort bekam jedes Kind nach der Geburt einen Samen in die Schulter eingepflanzt, und der Spross wuchs dann mit dem Kind mit.
    »Du hast einen langen Weg hinter dir«, sagte Lettie.
    »Ich reise gern«, erwiderte Noah achselzuckend. So als wäre es gar nichts, den Okzident-Ozean überquert zu haben. Die Blätter an seinem Stängel rauschten.
    »Willkommen in Albion.«
    »Ach, ich war schon oft hier. Ist immerhin mein Beruf, den Kanal zu überqueren. Wenn ich hier bin, verkaufe ich unten im Hafen meine Blumen.«
    »Na dann willkommen im Gasthaus Zum Schimmel «, sagte Lettie.
    Da erblickte eine strahlend orangefarbene Blüte an seinem Stängel das Licht der Welt.
    »Du kommst spät«, sagte der Schneehändler und träufelte ein paar Tropfen Äther auf den Teppich.
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