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Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
Autoren: Sam Gayton
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bekommen wir es ja morgen heraus.«
    Aber inzwischen war Lettie, was das Rätsel ihrer Mutter anging, ganz auf sich allein gestellt. »Vertraue deiner Mutter einfach«, sagte ihr Vater nur, »und denk an dein Versprechen.«
    Es war ein Versprechen, das Lettie mit jedem Tag immer schwerer fiel einzuhalten. Mit jeder Flut und jeder Ebbe. Mit jedem eintreffenden und abreisenden Gast. Im Winter war es zumindest nicht ganz so schlimm. Sie hatte Periwinkle und den Wind, zu denen sie sprechen konnte. Sie hatte ihr Fernrohr. Und trotzdem machte das Ganze sie manchmal so wütend, dass sie hätte schreien können. Ihre Mutter hatte eine Nachricht geschrieben und sich dann einfach aus dem Staub gemacht, fertig, aus. Mehr hatte Lettie von ihrer Mutter nicht bekommen.
    Lettie Peppercorn, vertreibe die nutzlosen Gedanken aus deinem Kopf! , schimpfte das Mädchen mit sich selbst und machte sich daran, die Luftzüge aus dem Zimmer auszusperren. Mit einem Geschirrtuch verfolgte sie sie bis zu den Löchern und Ritzen zurück, durch die sie gekrochen waren. Dann verstopfte sie alle Eingänge mit Zeitungspapier oder den alten Socken ihres Vaters.
    »Raus mit dir«, sagte sie dem Wind und pfropfte Taschentücher in die Schlüssellöcher. »Als Gesellschaft seid ihr mir willkommen, aber heute seid ihr schlecht fürs Geschäft.«
    Das gefiel dem Wind ganz und gar nicht. Er kitzelte das Walross an den Füßen und kippte die halb volle Tasse mit Khave um, die Letties Vater stehen gelassen hatte. Nachdem Lettie schließlich alle Luftzüge ausgesperrt hatte, sauste der Wind um das Haus herum, rüttelte an den Fenstern und versuchte sich durch den Schornstein wieder hereinzuschleichen. Lettie deckte auch den Kamin mit Zeitungspapier ab. Der Wind heulte, die Holzstelzen ächzten. Das ganze Haus neigte sich nach vorn, sodass das Gästebuch vom Tresen rutschte.
    »Hör sofort damit auf!«, rief Lettie den Kaminschacht hinauf, und der Wind verstummte schmollend.
    Der Schneehändler zog beide Augenbrauen nach oben, sodass sein Gesicht knisterte. »Einem kleinen Mädchen, das den Wind mit ihrer Stimme zum Verstummen bringen kann, bin ich noch nie begegnet. Auf mich hört er nie.«
    Lettie zuckte mit den Schultern. »Mag daran liegen, dass Sie keine Manieren haben. Und, was machen wir jetzt?«
    Der Schneehändler runzelte die Stirn. »Jetzt lassen wir die Kälte herein«, antwortete er. »Wir sorgen dafür, dass sie hereinströmt und sich hier richtig breitmacht. Und du kannst mir einen Eimer Wasser aus dem Brunnen holen.«
    Aus dem Brunnen.
    Lettie ballte eine Hand zur Faust. Jetzt würde sie allen von ihrem Versprechen erzählen müssen. Zorn wallte in ihr auf. Nur sehr ungern erzählte sie davon, vor allem Gästen, die frei herumreisen konnten, wohin sie wollten. Lettie fühlte sich schrecklich, es war ihr unsäglich peinlich und sie schäumte geradezu vor Wut.
    »Ich kann da nicht rausgehen«, murmelte sie. »Nicht mal bis zu dem Brunnen in der Essiggasse. Wenn ich die Leiter hinuntersteige, bin ich in Lebensgefahr.«
    Als die anderen sie verständnislos anblickten, deutete sie nur auf die Botschaft, die ihre Mutter hinterlassen hatte. Schweigend lasen die drei Gäste das Blatt im Licht des Mondes. Die Glotzerin stellte klickernd ihre Sucherbrille scharf.
    »Das ist ja himmelschreiend«, sagte das Walross schließlich.
    Lettie blickte zu Boden. Lettie Peppercorn, wage es ja nicht, zu weinen oder zu fluchen oder sonst was Ungebührliches zu tun.
    »Die Nachricht hat mir meine Mutter hinterlassen, bevor sie vor zehn Jahren verschwunden ist«, erklärte sie.
    »Wie schreckweilig«, sagte die Glotzerin.
    Was schreckweilig wohl bedeutet? , fragte sich Lettie. Vielleicht eine Mischung aus schrecklich und langweilig? Dann traf es ziemlich genau das, was Lettie angesichts der Botschaft empfand.
    Der Schneehändler sagte nichts. Seine Augen waren wie zwei gefrorene Seen, aus denen Lettie nicht das Geringste ablesen konnte.
    »Dann hole ich das Wasser selber«, sagte er am Ende säuerlich.
    Lettie nickte. »Der Eimer steht auf der Veranda.«
    Der Schneehändler stampfte aus der Tür und die Leiterstufen hinab.
    Lettie holte ihr ausziehbares Fernrohr aus der Schürzentasche und floh vor den Stieraugen der Glotzerin und den Schweinsäuglein des Walrosses in die Küche.
    »Selbst wenn ich gekonnt hätte, wäre ich nicht losgegangen, um es ihm zu holen, Peri«, murmelte sie. »So einen ungehobelten Menschen hab ich noch nie erlebt. Und seinetwegen ist jetzt das
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