Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
Autoren: Sam Gayton
Vom Netzwerk:
ganze Wohnzimmer voller Eisspuren.«
    Sie ging ans Fenster, ließ das Fernrohr auseinanderschnappen und hielt es sich vors Auge.
    Inzwischen war der Mond aufgegangen. In der Essiggasse brannten überall die Gaslaternen.
    Lettie sah einen Mann, der dicht über dem Kopfsteinpflaster dahinritt, unter sich ein Pferd, das zwischen seinen Knien eingehängt zu sein schien. Sie wandte den Blick die Gasse hinunter bis nach Tauschdorf, diesem Ort, der nach Salz, Wal-Tran und Bier roch. Betrunkene Matrosen blitzten tanzend, wankend und balgend im Licht der Gaslampen auf.
    Lettie kannte die Straßen in- und auswendig, obwohl sie noch nie einen Fuß darauf gesetzt hatte: Pökelbrücke, Jauchegasse, Laugenallee … Sie blickte alle Gassen entlang, dann weiter zu den Booten, die am Steg festgemacht waren, und schließlich dahinter, auf das große weite Meer.
    Und dann sah sie wieder zum Schneehändler hinüber, der gerade am Brunnen stand. Das Wasser war schon gefroren, dabei lagen die kältesten Monate noch vor ihnen. Der Schneehändler hob einen Stein auf und schleuderte ihn hinab, um das Eis zu brechen. Dann hievte er einen Eimer voll Wasser und grauem Eisgebrösel hoch.
    »Es wäre so einfach gewesen, da runterzugehen und es zu holen«, murmelte Lettie.
    Der Wind blies zornig um das Gasthaus herum. Denk an dein Versprechen , schien er sagen zu wollen.
    »Schon gut, schon gut«, sagte Lettie laut. »Mach ich ja.«
    Und so tat sie das, was sie immer tat, wenn sie in Versuchung geriet: Sie dachte an all die Dinge, die vor Mitternacht, vor der Zubettgehzeit, noch erledigt werden mussten.
    Periwinkle gurrte auf seiner Stange beim Ofen.
    »Peri!«, sagte Lettie, froh über die kleine Ablenkung. »Ich hab eine Nachricht, die du Papa bringen musst.«
    Sie nahm ihre Taube in die Hände und ging mit ihr ans Fenster.
    »Heute siehst du ein bisschen besser aus«, sagte sie, obwohl es nicht stimmte. Lettie fand es wichtig, ihren kranken Patienten etwas aufzumuntern. »Wirkst nicht mehr ganz so grau. Liegt vielleicht an den Karottenschalen, die ich dir gegeben habe. Meinst du, du könntest Papa auch ein paar Münzen bringen?«
    Periwinkle schob den Brustkorb vor und Lettie lachte.
    »Dummer alter Vogel. Bist schon fast so schwer wie ein Stein und erhebst dich trotzdem mir zuliebe in die Luft.« Sie steckte drei Schilling in einen winzigen braunen Umschlag und schrieb eine Nachricht dazu:
Lieber Papa, hier ein paar Münzen. Die hat ein Mann mit einem Eiszapfenbart für mich gemacht. Bitte verwette sie nicht gleich alle, und bitte verspiel nicht noch mehr von unseren Möbeln, wir haben sowieso nur noch einen Teppich übrig. Lettie
    Dann fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu:
Und FALLS du heute was gewinnst – wir brauchen Feuerholz, Kohlen, einen neuen Besenkopf, Kräuter, Karotten, Kerzen, Wolle, einen Satz Nähnadeln, Khave, Papier, Stifte und Seife. Ach, und Klopapier! Ich will nicht mehr, dass du die Tischservietten dazu benutzt, ja? Kuss.
    Das war für das winzige Stück Papier eine ziemlich lange Nachricht, aber Lettie quetschte sie irgendwie drauf. Dann band sie die Botschaft und das Geld an Periwinkles Bein fest und machte das Fenster auf.
    »Du weißt, wohin, Peri! Selbe Zieladresse wie immer!«
    Gurrend breitete der Vogel die Flügel aus und erhob sich mühsam ins Dunkel der Nacht. Lettie sah ihm nach. Sie liebte Periwinkle, wie das Meer seine Wellen liebte. Neben dem Wind war der Vogel Letties bester Freund. Zwar konnten sie sich nicht unterhalten (jedenfalls nicht mit Worten), aber das machte nichts. Lettie übernahm das Reden, und Periwinkle tat sein Bestes, ein guter Zuhörer zu sein. Dennoch sehnte sich Lettie nach einem Freund, der auch antworten könnte. Das Versprechen, das sie ihrem Vater gegeben hatte, sorgte dafür, dass sie in Sicherheit war – aber es machte sie auch einsam.
    Der Schneehändler war inzwischen wieder auf der Leiter und trug schwer an dem vollen, herumschwappenden Eimer. Lettie half ihm bei den letzten Sprossen, bekam aber nicht ein Wort des Dankes zu hören.
    »Ich hätte den Jungen schicken sollen, um Wasser zu holen«, brummte er nur ärgerlich.
    »Welchen Jungen?«, fragte Lettie.
    »Der mich mit seinem Boot nach Albion gebracht hat«, erwiderte der Schneehändler. »Er wollte es am Steg festmachen. Ich hatte ihm eigentlich eingeschärft, mir meinen Rührlöffel hier hochzubringen.«
    »Vielleicht hat er sich ja verirrt?«, vermutete Lettie.
    »Unmöglich«, sagte der Schneehändler. »Ich habe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher