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Letale Dosis

Letale Dosis

Titel: Letale Dosis
Autoren: Andreas Franz
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werden. Wir müssen jetzt zusammenhalten und gemeinsam diesen Weg der Trauer gehen.«
    Sie umarmte ihre Söhne, lächelte ihnen aufmunternd zu, auch wenn ihr im Augenblick zum Heulen zumute war, ging zum Telefon und wählte die Nummer von Bruder Schönau. Sie sprach eine Viertelstunde mit ihm; er fragte, ob er vorbeikommen solle, doch sie wollte es nicht, nicht jetzt, wo das Haus von Polizei nur so wimmelte. Morgen früh vielleicht.

Montag, 22.15 Uhr
    Julia Durant, Hauptkommissarin bei der Kripo Frankfurt, schlug den ihr von einer Kollegin so warm empfohlenen sogenannten Krimi zu und warf ihn auf den Tisch. Sie ärgerte sich über die vierundvierzig Mark, die sie für diese endlose Langeweile ausgegeben hatte; sie wußte, wenn es nicht spätestens nach fünfzig Seiten einigermaßen spannend und interessant wurde, würde auch der Rest des Buches eine einzige Quälerei sein. Sie hatte keine Ahnung, nach welchen Kriterien andere ihre Bücher auswählten, aber es waren mit Sicherheit nicht die gleichen, nach denen sie vorging. Für sie mußte ein Buch spannend, die Charaktere plastisch und die Handlung nicht zähflüssig wie Haferschleim und an den Haaren herbeigezogen sein, sie mußte sichstatt dessen in die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonisten hineinversetzen und die Handlung miterleben können, als wäre sie direkt dabei. Das hatte sie jedoch bisher nur bei ganz wenigen Büchern vermocht, Bücher, die sie derart in ihren Bann zogen, daß sie gar nicht bemerkte, wie schnell die Zeit verflog, und enttäuscht war, wenn der Roman nach fünfhundert Seiten plötzlich zu Ende war.
    Sie hatte die Beine hochgelegt, nahm die Fernbedienung in die rechte Hand und zappte sich durch ein paar Kanäle, bis sie bei Viva hängenblieb und sich einen Live-Mitschnitt von Bryan Adams ansah. Sie zündete sich eine filterlose Gauloise an, trank einen Schluck aus der Dose Bier, das jetzt warm und fade schmeckte. Sie erhob sich, schüttete den restlichen Inhalt in den Ausguß und ging zum Kühlschrank, um sich eine neue herauszuholen. Sie riß den Verschluß auf, stellte die Dose neben die Couch, nahm einen tiefen Zug an der Zigarette, schnippte die Asche in den Aschenbecher, sah kurz zum Fernseher, dann zum Fenster. Es war nicht ihr Tag gewesen; Büroarbeit, lange liegengebliebene Berichte fertigstellen, um halb fünf nach Hause fahren. Sie war kurz einkaufen gewesen, hatte ein wenig aufgeräumt, obgleich ein gründlicher Hausputz längst überfällig war. Die Fenster gierten nach Wasser, die Gardinen waren seit dem letzten Herbst nicht gewaschen worden, das letzte Mal, daß sie einen Staubsauger zur Hand genommen hatte, lag zwei oder drei Wochen zurück. Doch die seit nunmehr zwei Wochen anhaltende Hitze lähmte sie, und selbst jetzt, um diese Zeit, war es noch immer so warm und stickig in der Wohnung, daß sie bezweifelte, diese Nacht gut schlafen zu können.
    Sie hatte ihren Vater anrufen wollen, doch der war wieder einmal nicht zu Hause, danach hatte sie es bei Susanne Tomlin in Südfrankreich versucht, aber auch dort hatte niemand den Hörer abgenommen, als letztes versuchte sie es bei Werner Petrol, auch hier nur der Anrufbeantworter. Sie hatte leichte, stechendeSchmerzen in der linken Schläfe. Es war nicht viel Aufregendes passiert in den letzten sechs Wochen, einige Routineeinsätze, ein versuchter Mord an einer Prostituierten im Sperrbezirk nahe des Hauptbahnhofs, die nie wieder ein normales Leben würde führen können, da der Täter ihr das Gesicht und die Brust zerschnitten hatte, sowie ein Raubmord an einer dreiundachtzigjährigen Frau, die allein in einem winzigen Haus in einem alten, heruntergekommenen Viertel gelebt hatte und von deren Mörder bislang jede Spur fehlte. Was den Fall jedoch besonders grausam und sinnlos machte, war die Tatsache, daß die alte Frau vor ihrem Tod von ihrem Peiniger noch vergewaltigt worden war und es sich nach Meinung des Polizeipsychologen bei dem Mörder um einen Mann handelte, der nicht nur äußerst gewaltbereit war, sondern auch sexuell extrem perverse Neigungen hatte.
    Der erste Fall war kaum lösbar, da er sich innerhalb eines Milieus abgespielt hatte, in dem eigene Regeln und Gesetze herrschten, und Julia Durant und ihre Kollegen Hellmer und Kullmer bei ihren Befragungen auf eine Mauer des Schweigens stießen. Selbst die junge Frau, die längst außer Lebensgefahr war, aber für den Rest ihres Lebens deutliche Zeichen der Tat in ihrem Gesicht und an ihrem Körper tragen würde,
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