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Lesereise Rom

Lesereise Rom

Titel: Lesereise Rom
Autoren: Klaus Brill
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Künstler des Jahrhunderts machten. In einem Nebengebäude hatte er sein Büro, dort schrieb, skizzierte, aß und übernachtete er, dort empfing er Besucher und von dort rief er täglich mehrmals Giulietta Masina an, seine Ehefrau und Kollegin, die er 1943 in Rom geheiratet hatte.
    Er lebte mit ihr mitten in der Altstadt, zuletzt im Haus Nr. 110 in der Via Margutta, unweit der spanischen Treppe gelegen und doch in einem stillen Winkel, den der Touristenstrom gewöhnlich verschont. Wie alle anderen Bewohner des Viertels ging der Maestro hier in die Kaffeebar, plauschte mit Händlern und Handwerkern, und spät abends, wenn alles still war, brachte er den Katzen etwas zum Fressen hinunter.
    Wer eine Zeit lang in Rom lebt und dann im Lichte eigener Erfahrungen Fellinis Film »Roma« betrachtet, der begreift, dass die Genialität dieses Künstlers eine genuin italienische ist: er hat nur gebündelt, verdichtet und mit ironischer Distanz zugespitzt, was seine Landsleute alltäglich leben. Er hat sie obsessiv beobachtet und spöttisch widergespiegelt, und er hat auf diese Art ein paar Mythen der Neuzeit zu begründen geholfen, die dem Rom der fünfziger und sechziger Jahre für eine Zeit lang einen legendären Schwung verliehen.
    Es war dies das goldene Zeitalter von Cinecittà, der Filmstadt am östlichen Rand von Rom, die 1937 in Gegenwart des faschistischen Diktators Benito Mussolini begründet wurde und etwa von 1951 an für rund zwei Jahrzehnte das Hollywood Europas war. Kolossalwerke wie »Ben Hur«, »Quo vadis« oder »Cleopatra« wurden hier gedreht, Weltstars lebten zeitweise in Rom und zogen wie magisch jene wilden Fotografen an, die niemand anderer als der sympathisierend zuschauende Fellini mit dem Ausdruck paparazzi belegte. Fellinis Film »La dolce vita«, mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle, erhob die Fontana di Trevi und die Via Veneto in den Rang kultischer Orte, deren Bann freilich später in Banalität zerrann.
    Und doch blieb der Zauber, den Fellini entzündet hatte, lebendig in den Herzen der Menschen, wie sich im Herbst 1993 bei seinem Sterben zeigte. Der Künstler hatte dreiundsiebzigjährig einen Schlaganfall erlitten und lag im Koma im Poliklinikum Umberto I., von dessen Krankenhausfluren in jenen Tagen die Fernsehreporter jeden Abend live in die Tagesschau-Sendungen berichteten. Der Präsident des Abgeordnetenhauses wünschte dem Kranken öffentlich ebenso Genesung wie der Staatspräsident und der Präsident des Senates, und selbstverständlich waren die Herren, als der Maestro dennoch starb, beim Trauergottesdienst zugegen, ebenso wie andere führende Politiker, bekannte Schriftsteller und Schauspieler, prominente Richter, die Techniker aus Cinecittà und all die vielen, vielen anderen. So nahm Italien Abschied von einem seiner Größten.
    Nichts aber bezeugte so sehr die Verehrung der Menschen für Fellini wie jener kolossale Aufzug der Trauernden in seinem Teatro Cinque in Cinecittà, wo einen Tag lang der Sarg des Toten aufgebahrt war, ehe er in seinem Geburtsort Rimini in die Erde gesenkt wurde. Über siebzigtausend Frauen und Männer aus Rom, aus ganz Italien und auch aus dem Ausland strömten an jenem Dienstag von morgens um neun Uhr bis nach Mitternacht herbei, quollen Stunde um Stunde aus der U-Bahn-Station Cinecittà und schoben sich auf das Gelände der Filmstadt, die aus einer Reihe höchst simpler bräunlich-rötlich schimmernder Flachbauten besteht.
    Umso überwältigender war das Setting im Inneren des Studio 5. An der Stirnwand der leeren, nur mit Lichtgerüsten ausstaffierten Halle hatten die Handwerker eine Kulisse aus dem Film »Das Interview« aufgehängt, die einen sommerblauen Himmel zeigte, hell angestrahlt. Davor erhob sich aus dem Dunkel des Raumes Fellinis Sarg, bedeckt mit einem Rosengebinde und einer Schleife. Zur Rechten und zur Linken aber standen je ein carabiniere in schwarzer Gala-Uniform, die Hände auf den silbernen Degenknauf gestützt, den Zweispitz nebst rotem Federbusch auf dem Haupt, sowie je ein römischer Stadtpolizist in Dunkelblau mit weißem Helm und weißen Handschuhen.
    Im Licht der Scheinwerfer, über den schemenhaft sich abzeichnenden Köpfen der Besucher, hatte diese von den Uniformen dominierte Konfiguration etwas umwerfend Opernhaftes, Filmreifes; war sie unzweideutige Botschaft dafür, dass an diesem Ort die hohe Kunst der Erzeugung starker Eindrücke beheimatet ist. Und beeindruckt defilierten die mehr als siebzigtausend vorbei. Hat man
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