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Lesereise Rom

Lesereise Rom

Titel: Lesereise Rom
Autoren: Klaus Brill
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von rund zehn Prozent. Nur hohe Geistliche bekommen mehr, Kardinäle etwa zweitausend Euro plus Zulagen je nach Betätigung. Wer von ihnen in einem der zahlreichen Häuser wohnt, die die Kirche und ihre Untergliederungen in Rom besitzen, zahlt zudem eine sehr günstige Miete.
    Auch die Arbeitszeit ist kommod. Seit 1982 gilt die Sechsunddreißig-Stunden-Woche, meist arbeitet man montags bis samstags von acht bis vierzehn Uhr (und mancher Laien-Angestellte beim Staat der Vatikanstadt übt nachmittags einen Zweitberuf in Rom aus). Gekündigt werden können Vatikanbeamte nicht, Versetzungen sind einvernehmlich zu regeln.
    Dies heißt nicht etwa, dass der Vatikan gewerkschaftsfreundlich wäre, im Gegenteil: Die Vereinigung der Laienbediensteten des Vatikans ( ADLV ), die unter einem großen Torbogen am Belvedere-Hof ein Büro und einen Besprechungsraum hat, bemüht sich seit Jahren vergebens um nachhaltige Interessenvertretung. Vierzehn Jahre lang existierte die 1979 gegründete Organisation gewissermaßen im Untergrund, erst 1993 erkannte Papst Johannes Paul II. sie als Gesprächspartner an. Gleichwohl fühlt sie sich im Alltag diskriminiert, ihr Einfluss ist gering. Tarifverhandlungen gibt es nicht, sondern allenfalls Gespräche mit dem 1989 gegründeten Büro für Arbeit des Apostolischen Stuhls. Die Zahl der Mitglieder der Laienvertretung geht seit Jahren stetig zurück, von gut zweitausend auf weniger als sechshundert.
    Die rund dreizehnhundert Priester sind überhaupt nicht organisiert. Dafür haben manche von ihnen Arbeitsplätze, die ihresgleichen suchen. Wer etwa den Monsignore Vittorio Formenti besucht, den Leiter des Statistischen Büros der Kirche, der wird von Schweizer Gardisten über marmorne Treppen und Flure geleitet, vorbei an Wandgemälden. Im Besucherzimmer nimmt man auf barocken Sitzen Platz, doch steht die aus Jahrhunderten ererbte Pracht durchaus im Gegensatz zur kargen personellen Ausstattung der Büros. »Wir machen alles selber«, sagt Monsignore Formenti. Sekretärinnen haben nur die großen Chefs, also nehmen Sachbearbeiter selbst Notizen auf, ziehen Fotokopien und schreiben Texte auf Computer oder Schreibmaschine. Monsignore Formenti hat früher sechzehn Jahre lang die Korrespondenz des Papstes gesichtet, tausend Briefe täglich in drei Säcken. Er weiß, dass für die vermutlich weit weniger umfangreiche Post des italienischen Staatspräsidenten sechzehn Bedienstete aufgeboten sind, »und wir waren vier«.
    Der Apparat Seiner Heiligkeit arbeitet in vieler Hinsicht effektiv, aber »es kann auch ganz schnell etwas versenkt werden«, wie ein hoher Vatikanbeamter sagt. Die Urteile sind nicht einheitlich. Es gibt Diplomaten, die des Lobes voll sind über ihre Erfahrungen mit bestimmten Abteilungen, und es gibt den früheren Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher mit dem Vorwurf, manche Gesuche würden zehn Jahre lang nicht bearbeitet. Nahezu sprichwörtlich ist die Bemerkung des venezolanischen Kurienkardinals Rosalio José Castillo Lara von der inertia vaticana , der vatikanischen Trägheit, geworden. Und Papst Johannes XXIII. (1958–1963) hat einmal bei einem Besuch des damaligen US -Präsidenten Dwight D. Eisenhower auf dessen Frage, wie viele Leute im Vatikan arbeiteten, grinsend geantwortet: »Ich hoffe, die Hälfte.«
    Dabei sind die Wege kurz, man kann fast jeden anrufen, außer den Papst natürlich. Groß ist intern die Bandbreite der Meinungen. »Der Vatikan ist vielstimmig«, sagt ein Insider, und ein anderer ergänzt: »Der Vatikan sieht nach außen aus wie eine homogene Struktur, aber ich habe selten etwas so Heterogenes gesehen.« Ein dritter meint: »Es wird nach oben hin immer enger, je mehr sich die Pyramide zuspitzt.« Auf allen Stufen aber sind sich die Beschäftigten bewusst, dass sie bei einem ganz besonderen Arbeitgeber tätig sind, und viele sind sehr stolz darauf, für den Papst zu arbeiten. Unter römischen Arbeitnehmern ist ein Job beim Vatikan, etwa als Gärtner oder Gabelstaplerfahrer, sehr begehrt, die Nachfrage ist weit größer als der Bedarf.
    Die Dienstleistungen, die das Unternehmen bietet, sind sonst nirgends auf der Welt zu finden. Es gibt da beispielsweise, auch für Außenstehende über die Porta Sant’ Anna zugänglich, die Apostolische Almosnerei, auf Italienisch Elimosineria Apostolica geheißen. Sie besteht seit wenigstens acht Jahrhunderten, und sie verteilt im Namen des Papstes bescheidene Spenden an Arme, Witwen und Waisen sowie an karitative
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