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Lesereise Rom

Lesereise Rom

Titel: Lesereise Rom
Autoren: Klaus Brill
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Lo Forte, Roberto Scarpinato, Gioacchino Natoli sowie ihr Chef Giancarlo Caselli gefüllt haben: die Anklageschrift des Prozesses in Palermo nebst Anlagen. Die wichtigsten dieser Dokumente, eine Auswahl nur, erschien 1995 als Buch, neunhundertsechsundsiebzig Seiten stark, unter dem Titel »Die wahre Geschichte Italiens«.
    Giulio Andreotti, geboren in Rom am 14. Januar 1919, wohnhaft dortselbst, wurde angeklagt der Mitwirkung in einer kriminellen Vereinigung mafiosen Charakters. Giulio Andreotti soll, so behaupteten die Staatsanwälte, nicht nur der Mafia als Schirmherr gedient und ihre Verfolgung hintertrieben, sondern der Verbrecherorganisation quasi angehört haben. Giulio Andreotti soll dafür gesorgt haben, dass Corrado Carnevale, der langjährige Chef einer Kammer beim Kassationsgericht in Rom, Gerichtsurteile gegen Mafiosi im Berufungsverfahren reihenweise aufhob. Giulio Andreotti soll Kontakt zu Mafiabossen gehalten haben, auch zu dem berüchtigten Salvatore Riina, dem capo dei capi , der 1993 nach über zwanzig Jahren erfolgloser Fahndung endlich in Palermo gefasst wurde. Giulio Andreotti soll sich mit Riina sogar 1987 in Palermo in der Wohnung des Steuereinnehmers Ignazio Salvo getroffen haben. Er soll dabei nach dem Augenzeugenbericht eines später ausgestiegenen Mafioso von Riina auf beide Wangen geküsst worden sein – für die Staatsanwälte ein bedeutungsvolles Zeichen der Gemeinsamkeit, aber zugleich auch eine Warnung an Andreotti, der sich damals habe von der Mafia entfernen wollen.
    Der mächtige Christdemokrat hatte seinerzeit in Sizilien einen wichtigen Helfer, den Abgeordneten Salvatore Lima. Dieser war in Palermo einer der führenden Männer, eine Zeit lang auch Bürgermeister, ein klassischer politischer Patron mit Mafiaverbindungen. Er wurde 1992 auf offener Straße von der Mafia erschossen, weil er offenbar nicht willfährig genug war. Lima galt viele Jahre lang als Andreottis »Vizekönig« in Sizilien, und König war Andreotti in diesem Sinn vor allem in seiner Eigenschaft als Anführer einer sogenannten corrente, einer der Gefolgschaften innerhalb der Democrazia Cristiana, die nach feudalistischer Manier um Einfluss und Posten konkurrierten. Die corrente war einer der Pfeiler von Andreottis Macht, und diese Macht beruhte nach Überzeugung der Staatsanwälte unter anderem darauf, dass Lima und seine Helfershelfer mit Andreottis Wissen in Sizilien einen Pakt mit der Mafia eingegangen waren. Die Mafia habe bei Wahlen auf lokaler oder nationaler Ebene die von ihr kontrollierten Stimmen ihrer Mitglieder, ihrer Unterstützer und die Stimmen von deren Familienangehörigen der DC -Corrente Andreottis zugeführt und im Gegenzug die politische Begünstigung ihrer vielfältigen, auch ökonomischen Interessen verlangt.
    Und dann zu denken, dass Andreottis Macht zu einem anderen Teil gewiss auf seinen ausgezeichneten Verbindungen zum Vatikan beruhte, wo er 1942 den späteren DC -Führer und Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi kennengelernt hatte. De Gasperi erkannte sein Talent, ermunterte ihn zu politischer Betätigung und machte ihn später zu seinem engen Mitarbeiter und Staatssekretär. Die Päpste Pius XII. und Paul VI. schätzten Andreotti als Vertrauten, und jahrzehntelang war der Respekt für ihn in der Kurie allgemein. Als er 1993, frisch beschuldigt, an einer Bischofsweihe teilnahm, bereiteten ihm die versammelten Prälaten eine Ovation der Solidarität zum Dank dafür, dass er 1983 die Vatikan-Bank IOR gerettet hatte, die damals in den Zusammenbruch der Mailänder Banco Ambrosiano verwickelt war.
    Es ist dies einer jener gigantischen Skandale, die der italienischen Nachkriegszeit ihren Stempel aufgedrückt haben, und natürlich blieb es nicht aus, dass er in den Prozessen in Palermo und Perugia zur Sprache kam. Zu reden war in diesem Zusammenhang auch über die berüchtigten Freundschaften des Politikers mit überaus zwielichtigen Gestalten. Giulio Andreotti soll den als Geldwäscher der Mafia verdächtigten Bankier Michele Sindona unterstützt haben, der 1974 einen Bankrott hinlegte und 1986 im Gefängnis starb, nachdem er eine offenbar vergiftete Tasse Espresso getrunken hatte. Giulio Andreotti soll nicht bloß Tuchfühlung zu Licio Gelli, dem Chef der berüchtigten Geheimloge P2, gehabt haben, sondern insgeheim der eigentliche Führer der P2 gewesen sein. Giulio Andreotti wurde ferner vor dem Gericht in Perugia zusammen mit einem früheren Vertrauten, dem Ex-Minister Claudio Vitalone,
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