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Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados

Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados

Titel: Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados
Autoren: Picus-Verlag
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alles passt auf vierhundert mal siebenhundert Meter und ist die richtige Einstimmung für jenen Teil der Normandie, der vor der Küste liegt.
    Vom Cap de la Hague, dem nördlichsten Punkt der Normandie, sieht man in zehn Kilometern Entfernung die englische Insel Auderly. Ganz in der Nähe liegen die höchsten Klippen der Normandie. Überhaupt ist die Halbinsel La Hague mit lieblichen Weiden, Wiesen und den neunzehn Dörfern hinter der dramatischen Küste von so weltentrückter Schönheit, dass man nur wünscht, es gäbe keine atomare Wiederaufbereitungsanlage gleichen Namens. Doch sie ist nicht zu übersehen, und überdies der wichtigste Arbeitgeber in einer Gegend, in der die Menschen zuvor entweder fischten oder arbeitslos waren.
    Von hier aus geht es nur mehr nach Süden. Und inselwärts. Denn nicht nur das Vereinigte Königreich besitzt Kanalinseln. Das siebzehn Kilometer vor der Küste gelegene Chausey-Archipel zählt bei Ebbe dreihundertfünfundsechzig Inseln – eine für jeden Tag des Jahres. Bei Flut sind es immerhin noch zweiundfünfzig, für jede Woche eine. Die vierzehn Meter Gezeitenunterschied, die in wenigen Stunden mehr als dreihundert Inseln verschwinden und erscheinen lassen, sind Rekord in Europa. In Granville legt die Fähre nach Grande Île ab. Auf dieser einzigen bewohnten der Chausey-Inseln gibt es außer einem Fischerdorf und dem Leuchtturm auch ein kleines Hotel, ein paar Ferienwohnungen, romantische Spazierpfade und natürlich köstliche Austern.
    Es ist wieder einer dieser normannischen Tage, deren unerbittlicher Nieselregen auch den stärksten Wanderwillen aushöhlt. Wie die Gezeiten wogen die Tagesgäste zwischen dem Restaurant und dem Geschäft für Postkarten, Souvenirs und Lebensmittel hin und her. Besonders Entschlossene erkunden das Dorf mit der Kapelle und dem Strand, der von Minute zu Minute größer wird und auf dem immer mehr Fischerboote seitlich in den Sand kippen. Sie klettern über Boote, Netze und Reusen. Durchweicht erreichen sie die Bar, die nach nassen Jacken und Hunden riecht und vom Geschrei spielender Kinder erfüllt ist. Hier wärmt man sich längst am Calvados. Familien spielen Karten, trocknen ihre Kleidung und warten auf das Boot zurück zum Festland. Vor den Fenstern erheben sich schwarze, grüne und gelbe Felsformationen aus dem Wasser. Wo die Besucher morgens an Land gingen, ist eine bizarre Landschaft aus Inseln, Bergen und Gesteinsbrocken aus dem Meer getaucht. Die Fähre liegt mehr als zehn Meter unter dem Kai. Ein triefendes Treppenhaus führt zurück aufs Schiff.

Liebliche Landschaft, menschliche Abgründe
Gustave Flaubert machte Rouen und Umgebung zum Schauplatz seiner »Madame Bovary«
    Die Kirchen seien ja ganz schön, die Bürger Rouens jedoch ziemlich blöd. So sah es der berühmteste Sohn der Stadt: Gustave Flaubert (1821–1880), Autor großer Romane wie »Madame Bovary« und »Lehrjahre des Gefühls«. Scheinheilig und verlogen fand er seine Mitbürger; auch ihre Kirchentreue irritierte ihn. Inspiration boten sie ihm dennoch. Das deutet schon der Untertitel seines Romans um die treulose Bovary an: »Sitten aus der Provinz«.
    Und so setzt Flaubert die vom Eheleben und dem Alltag in der ländlichen Normandie – jener Region, die Maler wie Claude Monet und Literaten wie Marcel Proust ihrer Unverfälschtheit, der Schönheit der wilden Küste und des lieblichen Hinterlandes wegen liebten – mächtig gelangweilte Arztgattin Emma Bovary scheinbar ins Gebet versunken in die Kapelle der Ehrfurcht gebietenden Kathedrale Rouens, die Monet gleich achtundzwanzig Mal malte. In Wahrheit erwartet Madame Bovary hier ihren künftigen Liebhaber Léon zum Rendezvous. Ausgerechnet in dem monumentalen Kirchenbau nimmt die Geschichte ihren Ausgang, die über moralischen und finanziellen Bankrott unaufhaltsam zum Tod der Protagonistin führt.
    Rouen wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Zuvor hatte bereits die wachsende Industrialisierung im Seine-Tal das Stadtbild verändert – genauso wie ein Wertewandel der Gesellschaft, den Flaubert womöglich begrüßt hätte. Das Rouen seiner Zeit schmückten hundert Kirchen, heute besitzt die Stadt noch ganze zwölf. Dabei ist die Stadt gewachsen: Im 19. Jahrhundert zählte sie mitsamt Vororten hunderttausend Einwohner, heute leben fünf Mal so viele im Großraum Rouen.
    Trotzdem wäre für den Romancier vieles vertraut. Zwar hat sich der Lauf der Straßen, auf denen Emma und Léon nach ihrem Kathedralenbesuch in der
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