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Lesereise Mallorca

Lesereise Mallorca

Titel: Lesereise Mallorca
Autoren: Helge Sobik
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Kraftarbeit gefragt. Llodrá läuft dann mit einem sogenannten Führungsdorn, einer schweren Metallöse mit mehreren Öffnungen, neben den vorbereiteten Seilen her, stemmt dieses Teil über die Stränge und führt sie so zu einem dicken Seil zusammen.
    Bezahlt wird nach Gewicht. Launige Bemerkungen sind Alltag: »Wenn der Fang gut ist, dann deshalb, weil der Fischer ein guter Fischer ist. Wenn der Fang schlecht ist, liegt es an der Schnur.« Bei den Seglern sei das so ähnlich: »Wenn alles hält, der Törn reibungslos klappt und viel Spaß macht, dann wegen des Skippers. Geht etwas schief, liege es an der Schnur – oder am Segeltuch …«
    Ob er seine Seile wiedererkennt, wenn er an Booten vorbei die Kais der Inselhäfen entlangspaziert? »Si«, sagt er und spricht das Wort aus, als wäre es mit einem Dutzend »i« geschrieben. Und falls das noch nicht eindeutig genug war, schiebt er ein lang gezogenes »claro« hinterher. »Meine erkenne ich immer. Sie sind anders, speziell, solide. Schön sind sie auch.« Und manchmal, das sagt er aus Bescheidenheit nicht selber, sind sie sogar kleine Kunstwerke aus Rot und Weiß mit einem dünnen blauen Faden, aus ungewöhnlichen Farbkombinationen, auf Kundenwunsch ab und zu sogar ganz traditionell aus Sisal statt aus Kunststoff. Nur an Bord gehen und mitfahren, die Seile im Einsatz erleben – das mag er lieber nicht und gesteht freimütig: »Mir wird auf dem Wasser schlecht, ich gehöre an Land.«
    Wann er mal aus seiner dunklen Halle kommt? Er lacht wieder. »Abends nach Feierabend, mittags zur siesta . Und immer dann, wenn ein Seil länger als zwanzig Meter wird und die kleine Lokomotive aus der Halle herausfährt. Dauernd eigentlich.« Er freut sich und breitet die Arme in der scheunentorweiten Öffnung aus – über sich blauer Himmel, am Horizont ein Olivenbaum, in der Nase deutlich weniger Teergeruch als fünf Schritte weiter hinten.

Alles Handarbeit
Hausbesuch in einer der letzten traditionellen Olivenmühlen Mallorcas
    Es sind diese Hände, die später nicht mehr aus dem Gedächtnis verschwinden. Mit ihren hellen, faltigen Innenseiten, den tief eingegrabenen Linien. Weich und warm sind sie. Die eine ist diesen Morgen wie zu einer Schale geformt – mit angewinkelten Fingern und dem Daumenballen als Umrandung. Und in die Mulde in der Mitte der einen Hand drapieren die Finger der anderen in Windeseile immer mehr Oliven – dunkle, reife Früchte, mit größter Geschwindigkeit in derselben Sekunde vom Boden in den jahrhundertealten Hainen oberhalb von Sóller geklaubt.
    Es sind die Hände von Rosa Canals, die seit sechs Jahrzehnten Oliven ernten. Abermillionen von Früchten dürften es geworden sein. Mitte siebzig ist die Frau, die aus ihrem Alter ein Geheimnis macht – obwohl ihr Äußerlichkeiten offenbar egal sind. Mit Karo-Kittel und Hauspantoffeln stapft sie durch den Hain – und geht ehrfürchtig mit jeder einzelnen Olive um: Als lägen Edelsteine zur Präsentation auf dem Handteller. Und als wäre es völlig normal, eine rasch wachsende Pyramide aus schwarzen Oliven in der Linken zu balancieren, während die Rechte nicht mehr mit Sammeln aufhören mag.
    Die Olivenhaine rund um das Ferienhaus, das sie hier vermietet – sie sind von Kindesbeinen an ihre Welt. Ein paar Hundert Orangenbäume gehören ebenfalls zum Besitz – aber die Beziehung ist distanziert: »Das sind Nutzpflanzen. Aber Olivenbäume – die sind Kultur, Geschichte, die haben Charakter«, sagt sie. Die Vorzeigeoliven lässt Rosa Canals später nicht etwa auf den Boden fallen, sondern in die Tasche gleiten: zu kostbar, um auch nur eine davon einfach wegzuwerfen.
    Die Frau mit dem blau-weißen Kittel ist mit ihnen aufgewachsen, hat Freude daran, ihre Bäume vorzuzeigen und Fremde auf Wunsch durch die Haine zu führen: »Ich kenne jeden Baum. Und das schon lange«, erzählt sie, als ginge es um alte Schulfreunde. Sie gehören der Familie von Rosa Canals – die jungen seit einigen Jahrzehnten, die ältesten seit vielen Generationen. »Unsere Oliven«, sagt sie, »haben das Aroma der Jahrhunderte. Und daher hat unser Olivenöl seinen besonderen Geschmack.«
    Sie selber hat noch nie einen Olivenbaum gepflanzt. »Sie sind alle älter als ich, und es geht ihnen gut. Wir brauchen keine neuen zu pflanzen.« Die meisten hier sind außergewöhnlich groß, breit, mit weit ausladenden Ästen. Sie tragen die einheimische Olivensorte Mallorquina. Das Extrakt dieser Früchte schillert in einem dunklen Goldton
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