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Lesereise Mallorca

Lesereise Mallorca

Titel: Lesereise Mallorca
Autoren: Helge Sobik
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Traditionsregatten mitsegelt. Im Moment kommt er nicht dazu, hat viel zu tun – und das Schiff im eigenen Garten aufgebockt, weil die Liegeplätze teuer sind und er das Geld lieber in neues Werkzeug investiert.
    Ob er lieber ein Schiff konstruiert oder lieber damit segelt? Er überlegt lange, mag sich nicht so recht festlegen und entscheidet sich dann doch: »Hauptberuflich zur See zu fahren – das wäre nichts für mich. Nebenbei macht es mir Spaß. Aber wenn ich mich entscheiden muss: Dann ist das Konstruieren noch schöner. Es ist großartig, ein Schiff unter den eigenen Händen wachsen zu sehen.« Selbst in einer Garage in Ca’n Pastilla.

Der Dreh mit dem Tau
Joan Llodrá: der letzte Seiler der Balearen
    Manche Dinge tut man nicht gerne und schiebt sie deshalb vor sich her, weil es immer Wichtigeres gibt als solch lästige Laufereien: Seile herzustellen zum Beispiel. Oder mit Kunden zu scherzen, Lösungen für vertrackte Probleme zu diskutieren, zu fachsimpeln. Und irgendwann kommt man nicht mehr darum herum: Dann muss man doch zum Finanzamt. Joan Llodrá ging das so. Neulich war er endlich dort und lernte seine neue Sachbearbeiterin kennen. Als sie einander gegenübersaßen, schaute sie nur kurz auf, atmete ein-, zweimal kräftig durch die Nase, blickte plötzlich hektisch, sprang auf und rief »Feuer, Feuer!« Llodrá amüsiert sich, wenn er heute davon erzählt.
    Er konnte die Frau schnell wieder beruhigen. Nicht das Finanzamt stehe in Flammen. Es sei bloß er, dessen Kleidung und Haut so angebrannt röchen – obwohl Oberhemd und Hose nichts anzusehen war. So sei das nun mal, wenn man sein Leben lang als cordelero , als Seiler arbeite, die Taue in Handarbeit fertige – und der Kunde sich wünscht, dass seine Leine Faser für Faser mit Teer imprägniert werde. »Das riecht verbrannt. Und ich merke das längst nicht mehr.« Er fasst sich an die Nase – und lacht wieder.
    Joan Llodrá macht den Job in seiner unscheinbaren dunklen Halle am Rand von Mallorcas zweitgrößter Stadt Manacor seit inzwischen über dreißig Jahren, ist damals in die cordeleria seines Schwiegervaters eingestiegen und heute der Chef: »Ich habe damals seine Tochter Barbara Montserrate geheiratet. Und den Betrieb.« Er zwinkert vergnügt. Scheint so, als hätte er beides bis heute nicht bereut. Der Mann mit seiner Werkstatt ist ein Geheimtipp unter allen, die schon mal ein Boot festmachen, ein Segel hissen oder Netze einholen mussten.
    Zu ihm kommen alle, die nichts von der Stange haben wollen. Vor allem Fischer sind darunter – solche, die in jedem Seil einen Metallkern haben wollen. Andere, die fünf Trossen zu einer abermals dickeren undurchtrennbar verdreht bekommen wollen. »Jeder Fischer«, erzählt er, »will es anders. Keiner geht los und kauft einfach nur ein Seil. Jeder hat eine andere Idee, eine eigene Philosophie. Keiner nimmt dieselbe Leine wie der Liegeplatznachbar, nicht mal wie der eigene Bruder.« Natürlich hängen Länge und Dicke von der Stärke des Fischkutters ab. Mehr noch aber weichen die Macharten der Taue voneinander ab, die das Schleppnetz halten: »Es soll nicht schwimmen und nicht ganz untergehen. Am besten schwebt es im Wasser. Wir drehen dafür Metallfäden ein.«
    Neuerdings schauen mehr und mehr Skipper aus Mallorcas vielen Sportboothäfen bei Llodrá in der Seilerei Montserrate vorbei, weil sie ungewöhnliche Dicken, seltene Materialien oder auch nur bestimmte Farbkombinationen bevorzugen, die industriell nicht zu haben sind.
    Seit sechzig Jahren gibt es die kleine Fabrik nun schon, und die neueste Maschine, die Llodrá angeschafft hat, ist das Faxgerät im Büro. Ansonsten tut es noch immer die Geschäftsausstattung von Schwiegerpapa: vor allem ein seltsames Eisenkonstrukt wie aus der Frühzeit der Industrialisierung am Anfang der sogenannten Seilerbahn. Dort sind Spindeln eingehängt, die blitzschnell gewechselt werden müssen, wann immer das Material auf der Rolle zur Neige geht. Diese Litzen laufen in unterschiedlichen Spuren, werden durch ein Metallgehäuse hindurch enger zusammengeführt, mit Eisenstiften je nach Bedarf auseinandergehalten oder noch weiter zusammengeführt – und mit der Kraft eines Motors immer weiter verdrillt. So etwas wie eine kleine Lokomotive sorgt als Gegengewicht dafür, dass alles stramm bleibt. Auf Schienen fährt sie bis zu hundertfünfzig Meter weit aus der Halle in den Hof hinaus. Und müssen dicke Stränge verdreht werden, ist zusätzliche menschliche
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