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Lesereise Mallorca

Lesereise Mallorca

Titel: Lesereise Mallorca
Autoren: Helge Sobik
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des Hotel Portixol nach alles in allem knapp dreijähriger Renovierung. Aus dem heruntergekommenen hostal , das mit seinen fünf Stockwerken wie ein Turm das Viertel überragt, hatten die Schweden Mikael und Johanna Landström ein bis ins Detail designtes Vier-Sterne-Hotel mit fünfundzwanzig Zimmern geformt, das lediglich am falschen Platz zu stehen schien. Vorheriger Betreiber war der ehemalige Leibkoch des Diktators Franco, der hier neben dem hostal auch ein auf Meeresfrüchte spezialisiertes Restaurant betrieb und selber im Haus wohnte. Er verdiente eine ganze Weile lang gut am Ausrichten von Hochzeitsfeiern, ehe der Ruf verblasste und das Viertel seine letzte über die eigenen Grenzen hinausstrahlende Attraktion verloren hatte. Touristen kamen seinerzeit sowieso fast keine, und wer hier übernachtete, war reisender Handelsvertreter mit kleinem Budget oder Lasterfahrer, der die Fähre aufs Festland verpasst hatte.
    »Die ersten Gäste mussten wir noch vor dem nahen Strand warnen«, erinnert sich heute die langjährige Hoteldirektorin Christina Østrem. »Und wir mussten sie darauf hinweisen, dass nachts Drogenabhängige in den Straßen ihren Rausch ausschliefen.« Sie hat den Wandel des Viertels aus nächster Nähe miterlebt und dort selber jahrelang gewohnt. »Bevor wir kamen, gab es eine Leder- und Stofffabrik im Viertel. Es roch zeitweilig so furchtbar, dass selbst alteingesessene Fischer wegzogen. Und zu den Kindern, die hier aufwuchsen, kamen nicht mal mehr die Mitschüler aus den Nachbarquartieren zu Besuch. Inzwischen ist das Viertel unfassbar hip. Es fühlt sich an den Wochenenden an, als ob halb Palma hier flanierte.«
    Anfangs haben die Einheimischen das Hotel, das plötzlich die gestylten jungen Erfolgreichen aus dem Ausland anzog und Zimmerpreise von über hundertfünfzig Euro aufrief, als Fremdkörper in ihrem Viertel betrachtet und es zumindest distanziert gesehen. »Die meisten der Älteren«, erzählt Østrem, »blieben auf Distanz. Aber ihre Söhne und Töchter schauten herein.« Inzwischen haben manche im Hotel Arbeit gefunden – und viele zum zehnten Geburtstag des Portixol stolz einen von den Landströms entworfenen Dankeschön-Sticker mit dem Schriftzug »Ihr seid die besten Nachbarn« getragen. Sie alle waren zum Jubiläumsfest eingeladen.
    Ein Fremdkörper ist das Designhotel heute nicht mehr – weil sich das Viertel in seiner Lebensart der modernen und in kühlen Blau-Weiß-Kontrasten gehaltenen Herberge nach und angepasst hat. Trotzdem gibt es hier noch immer viele Leute wie Joanna Maria Serra. Sie ist hier geboren. 1963 war das, in der Calle de Cortecera. Dreimal ist sie umgezogen, immer innerhalb des Viertels. Heute wohnt sie in der Parallelstraße ihres Geburtshauses. Wegziehen und das eigene Haus jetzt teuer verkaufen? Das kommt für sie und ihre Familie nicht in Frage: »Hier hörst du vom Bett aus, ob Sturm ist. Weil du das Meer hörst. Ich kenne das nicht anders. Und ich will das nicht anders.« Sie nippt noch mal an ihrem Wasserglas, stellt es wieder ab und wiederholt mit leiser Stimme: »Ich will es nicht anders.«
    In ihren Kindertagen war nur die Straße zur Kirche asphaltiert. Sonst waren alle Wege im Viertel aus Sand, und ganz vorne am Meer fuhr die Straßenbahn. Wenn an einem Nachmittag zwei Autos vorbeikamen, war viel los. Es ist dieselbe Gasse, durch die sich nun an manchen Abenden Blechlawinen auf Parkplatzsuche wälzen: »Als ich Kind war, haben wir das Wasser noch in Eimern vom Brunnen an der Plaça de la Font geholt, und viele Häuser hier haben erst in den achtziger Jahren Wasser- und Stromanschluss bekommen. Für die Stadt war das hier immer das Arme-Leute-Viertel. Palma hat eher mit dem Rücken zum Meer gelebt und Portixol deshalb übersehen.«
    Eine von Joannas zwei erwachsenen Töchtern ist gerade zu Hause ausgezogen und wohnt jetzt in der Nebenstraße. Die andere lebt noch im Elternhaus, in dessen Erdgeschoss sie gemeinsam mit Ehemann Enrique und Schwester Margarita das Fischrestaurant C’an Tito betreibt – 1976 von den Eltern eröffnet, als es noch alles andere als hip war, hier zu leben, zu arbeiten, ein Lokal zu betreiben – oder zum Essengehen herzukommen. Nur zwei Lokale gab es, dazu das Restaurant im damaligen Hostal Portixol.
    Das C’an Tito ist heute ein hoch angesehenes und eher teures Fischrestaurant – trotz des bodenständigen Ambientes. Für die Portion Petersfisch mit Zwiebeln müssen die Gäste siebenundzwanzig, für die mallorquinische
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