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Lesereise Mallorca

Lesereise Mallorca

Titel: Lesereise Mallorca
Autoren: Helge Sobik
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»Llaüt«-Segelboote auf Mallorca
    Der Mann hat eine eigene Werft, baut die traditionellen mallorquinischen Llaüt -Boote – und muss bei den Nachbarn gegenüber klingeln, wenn alle paar Monate wieder ein Stapellauf ansteht: damit sie gemeinsam schnell mal die schweren Mülltonnen vor dem Wohnhaus auf der anderen Straßenseite wegschieben, das Umparken der Autos organisieren und für möglichst viel Platz vor der Haustür sorgen können. Denn Joan Maria Rebassa Fiols Werft ist nichts anderes als eine größere Garage im Erdgeschoss eines Wohnblocks einer Stichstraße zum Strand von Ca’n Pastilla. Ein paar Häuser weiter toben sich nachts die Feierwütigen an der Platja de Palma aus und bummeln tagsüber Touristen über die Promenade, rekeln sich Urlauber im Sand und stehen mal ab und zu kurz auf, um in der nächsten Bar einen kräftigen Schluck sangria zu nehmen.
    Rebassa hält währenddessen das Fähnchen mallorquinischer Traditionsarbeit hoch – und kaum einer weiß, kaum einer ahnt es in dieser Umgebung. Wann immer er wieder eines seiner breitbauchigen Schiffe fertig gebaut hat, muss er es umständlich auf Rollen auf die Straße hinausrangieren und auf einen Bootsanhänger schaffen, ohne Fassade oder Schiff Schaden zuzufügen – und damit anschließend irgendwie um die engen Kurven Richtung Mittelmeer gelangen. Das ist jedes Mal absolute Millimeterarbeit – und hat noch immer haarscharf geklappt.
    Was ihm entgegenkommt: Llaüt , gesprochen ungefähr »ja-üht«, sind recht klein, meist nur etwa sechs Meter lang und um die zwei Meter breit, die sowohl als Einmaster in der Segelboot-Version und inzwischen auch als reine Motorboote gebaut werden. Etwas Größeres könnte in seiner ungewöhnlichen Werkstatt nicht entstehen – und den Mast kann er auch montieren, wenn das Schiff das Erdgeschoss in der Calle Ovidi verlassen hat. Fenster gibt es in Rebassas Miniwerft nicht. Damit natürliches Licht hereinfällt und der gelernte Tischler weiß, wie das Wetter gerade ist, bleibt tagsüber immer das Rolltor auf voller Werkstatthöhe geöffnet.
    Nur noch drei Bootsbauer auf Mallorca und zwei auf der Nachbarinsel Menorca beherrschen die Kunst, llaüts Brett für Brett nach alter Tradition in Handarbeit herzustellen. Rebassa hat die überlieferte Technik sogar weiterentwickelt, schichtet die Balken nun teilweise über Kreuz statt ausschließlich nebeneinander und erreicht so eine besondere Stabilität und zugleich niedrigeren Wartungsaufwand.
    Nichts ist dabei von der Stange, fast jeder individuelle Kundenwunsch umsetzbar. »Das ist kein Massengeschäft«, erzählt der schüchterne Bootsliebhaber, der eigentlich viel lieber im Stillen werkelt, als Worte über sein Tun zu verlieren. Er legt den Hobel zur Seite, fährt sich mit der rechten Hand durch die kurz geschnittenen Haare: »Ich bin hier ganz alleine, habe keinen Gesellen. Jedes einzelne Boot – das bin zu hundert Prozent ich.«
    Und wenn gerade mal kein neuer Auftrag rechtzeitig hereingekommen ist, beginnt er einfach eine llaüt nach eigenen Idealvorstellungen auf gut Glück zu bauen. Den Käufer sucht er sich anschließend, wenn das Schiff fertig ist. Das hat noch immer geklappt. Oder derjenige findet umgekehrt ihn während der Bauphase, weil der genau so etwas gerade haben wollte und die gut fünfunddreißigtausend Euro dafür zur Hand hat.
    Ein paar Fischer gibt es, die immer noch mit der llaüt hinausfahren. Kommerziell ist das längst nicht mehr interessant. Zu gering ist das Ladevolumen, zu eingeschränkt sind die Möglichkeiten. Aber sie tun es noch – aus Spaß, als Hobby, aus Traditionsverbundenheit – oder weil sie längst nicht mehr vom Fischfang leben, sondern im Hauptberuf anderen Tätigkeiten nachgehen. Für ein paar von ihnen baut Joan Mario Rebassa Fiol noch diese Boote, für sie führt er Reparaturen durch. Aber seit einiger Zeit greift er immer häufiger für Freizeit-Skipper zu Säge, Hammer und Leimpinsel: Sie haben die llaüt für sich entdeckt, sind häufig nicht mal Mallorquiner, sondern vor allem Deutsche, Engländer oder Skandinavier, die oft und gerne auf der Insel sind, hier ein Haus, oft auch bereits ein Boot haben – und mit der Zeit noch ein typisches Zweitschiff haben möchten, manche in der reinen Motor-, die meisten dieser Freizeit-Skipper in der Seglervariante.
    Zwischen fünfhundert und tausend teils jahrzehntealte llaüts schippern noch in den Gewässern der Balearen umher – eines gehört Rebassa selbst, der damit auf
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