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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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einem Abendessen in der Wohnung voller Herz-Jesu-Bilder, an der auch die zwei hübschen Kinder und die hübsche Ehefrau teilnehmen, verlassen Magdi und ich das Haus. Unter dem Vorwand, Material für den Laden zu besorgen. Vorwand, da ich nun – keine zehn Meter vom Esszimmertisch entfernt – erfahre, dass wir weder Lötkolben noch Sicherungen kaufen, sondern ohne Umwege zur Metrostation Helwan gehen werden. Um Magda (sic), die Freundin von Magdi, abzuholen. Die Flunkerei muss sein, denn vor Monaten hat die Ehefrau ein Tonband mit dem Liebesgeflüster der beiden entdeckt und scheint seither gebührend misstrauisch. Obwohl ihr Magdi künftig Treue und Beständigkeit versprochen hat. Ob sie ihm traut, wer weiß.
    Die ebenfalls gut aussehende (und fünfzehn Jahre jüngere) Magda steht neben dem Haupteingang. In Begleitung einer Freundin, beide mit Kopftuch. Das macht sich gut, der Schein der Scheinheiligkeit strahlt blütenweiß. Zu viert begeben wir uns auf die Dachterrasse des New Helwan Hotels, Kaffee und Kuchen für jeden, großzügige Trinkgelder an das Personal, eine Art Schweigegeld. Damit sie das, was sie sehen, nicht sehen. Wir vier plaudern launig miteinander und die zwei Verliebten turteln nebenbei, wobei mir Magdi zwischenzeitlich ins Ohr zischelt, dass es sich bei seiner Freundin um eine höchst hingebungsbegabte Liebhaberin handelt. Was die Pein der Entsagung nur erhöht, denn es fehlt an (erschwinglichen) Örtlichkeiten in diesem Land, wo zwei sich bedenkenlos hingeben könnten. Bisher gab es einen amerikanischen Freund, der bisweilen seine Wohnung zur Verfügung stellte. Aber der großzügige Mensch zog weg.
    Nach einer guten Stunde begleiten wir die Damen zurück, nicht die leiseste öffentliche Berührung, auch kein Händedruck, formeller Abschied. Selbstverständlich hat Magdas Freundin keine Ahnung, dass der Freund ihrer Freundin verheiratet ist. Und selbstverständlich dient sie als eine Form von Leibwächter. (Jemand, der den Leib des anderen bewacht!) Denn anständige Mädchen gehen nach Einbruch der Dunkelheit nicht allein auf die Straße. Aber zwei anständige Mädchen durch die Großstadt Kairo, das ist tolerierbar. Denn es ist anzunehmen, dass die zwei Anständigen unterwegs zu zwei anderen Anständigen sind.
    Seit vielen Jahren verstehe ich nicht mehr, warum Leute Romane und Fiktion lesen. Denn keiner kann sich ausdenken, was die Wirklichkeit an Wundern und Unsäglichkeiten bereithält. Magdi fährt mich den weiten Weg zurück zum Tahrir-Platz. Und während der vierzig Minuten kommt die Krönung des lehrreichen Abends. Der Familienvater zieht einen Zettel mit Adressen von Ärzten heraus. Sie seien spezialisiert auf das »Zunähen« vorehelich abhandengekommener Hymen. Denn Magdi macht sich natürlich Sorgen um Magda. »Geöffnet«, wie sie ist, steht eine christliche Hochzeit außer Frage. Also muss sie wieder, wenn es irgendwann soweit ist, per Zwirn und Nadel vernäht werden. Doch, ja, über so viel Eleganz würde er verfügen und seiner – dann – Exfreundin mit Rat und in bar aushelfen. Pferdefuß: Die misstrauischsten Ehemänner steigen mit der Taschenlampe ins Bett, hellsichtig auf der Suche nach verräterischen Einstichen und Fäden.
    Wunderbarer Magdi, bis zuletzt fehlt mir die Kraft, mich zu empören. Sehe ihn eher als Opfer der »Unmoral der Moral« (wieder Henry Miller), sehe ihn als Handlanger und Betrogenen einer von Hasstiraden auf alle Sinnlichkeit verseuchten Religion. Wie die Frauen – die allerdings noch entschieden heftiger – muss er sich ducken unter der Knute steinblöd ewiger Wahrheiten. Wie rührend, als wir uns verabschieden, redet mir Magdi ein letztes Mal zu, doch zurückzukehren zum Christentum und seinen Werten. Um zumindest mein Nachleben im christlichen Paradies zu sichern. Schallend lachend steige ich aus.
    Noch ein Abstecher in ein Café, ich mag das Stimmengewirr, die entspannte Freundlichkeit. Zwei Nebentische von mir entfernt höre ich ein paar Schwarze italienisch sprechen. Ich frage und höre, dass sie aus Eritrea kommen. Wundersame Weltgeschichte. Einem faschistischen Duce, der vor sechzig Jahren »Abessinien« überrannte, ist es zu verdanken, dass fünf Afrikaner in einem Hinterhofcafé von Kairo auf Italienisch diskutieren.
    Ein Fernseher dudelt. Vor einigen Tagen las ich in der Zeitung, dass ein Ägypter bis zu seinem 65. Geburtstag unfassbare zwanzig Jahre seines Lebens in einen Fernseher geglotzt hat. Als Quelle der Katastrophenmeldung wird
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