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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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ein, was den zweifachen Familienvater nicht hindert, Tee holen zu lassen und ein Wasserpfeifchen mit hablibabli , einem bisschen Hasch, anzuzünden. Und irgendwann kommt kein Kunde mehr – vielleicht ahnen sie, dass man beim Licht der Dämmerung am innigsten erzählen kann – und Magdi kommt in Schwung. Warum er genau diese Geschichte preisgibt, ich weiß es nicht. Vielleicht, weil ich ihm zuvor von den Umgangssitten zwischen Mann und Frau in Deutschland berichtete. Er fragte danach. Nun, es gibt Geschichten, bei denen man sich vorher anschnallen sollte. Das hier ist so eine.
    Magdi rekonstruiert die Hochzeitsnacht seiner Schwester. Und die war so: Ehemann und Ehefrau halten sich im Schlafzimmer auf, unzweifelhaft mit dem beschäftigt, was von den Teilnehmern bei einer solchen Gelegenheit erwartet wird. Vor der Tür harrt die Familie der Braut, auch Magdi. Harrt auf das »Ergebnis«, den eindeutig blutigen Nachweis, dass es sich bei der Tochter um ein vollkommen unversehrtes Stück Frau handelt. Als unwiderlegbaren Beweis einer ehrenhaften Familie. Doch irgendwann kommt der Ehemann heraus und murmelt etwas von wegen Müdigkeit und bittet um Geduld. Warum nicht, also morgen ein nächster Versuch: »Same time, same station«, kichert Magdi.
    Am nächsten Tag bezieht wieder jeder die ihm zukommende Stellung. Drinnen die nervösen Eheleute, draußen die lauernde Familie. Und wieder tritt der Gatte mit (blut)leeren Händen vor die Verwandtschaft, sorry, aber die Aufregung, der Druck, ganz sicher klappe es beim dritten Mal. Man schluckt es, wobei Magdi seinen Schwager noch wissen lässt, dass es morgen passieren muss.
    Aber es passiert nicht. Ein drittes Mal tritt der frisch Vermählte ohne Beweisstück vor die nun im höchsten Grade gereizten Familienmitglieder. Nun denn, man hat die beiden gewarnt, jetzt müssen Taten sprechen. Und Magdi, der älteste Bruder, in Vertretung des kranken Vaters agierend, stürmt mit gezogenen Messer ans Bett seiner Schwester, hält es millimeternah an ihre Kehle und schreit ihr die einfache Frage ins Gesicht: »Bist du verschlossen, bist du verschlossen?« Und die zu Tode Erschreckte wispert: »Ja, ja, verschlossen«, wohl wissend, dass die Antwort »offen« die verheerendsten Konsequenzen haben würde.
    Magdi rennt hinaus und schickt die Schwester des Vaters ins Schlafzimmer. Und die Dreiundsechzigjährige weiß, was sie zu tun hat, spreizt – Magdi mit Messer und Familie wartet wieder vor der Tür – die Beine der schwer verdächtigten Nichte und fordert den mitgebrachten Ehemann auf, seinen mit zwei weißen Tüchern umwickelten Mittelfinger in die Vagina seiner Frau einzuführen. Um das verdammte Blut ausfindig zu machen. Und er führt ein. Doch, unfassbar, auch jetzt will nichts fließen. Dafür fließen die ersten Tränen der Ehefrau, gellen die ersten Schreie, Schmerzensschreie. »Tiefer«, befiehlt die Tante und der Neffe bohrt tiefer. Und die Schreie werden tiefer. Bis die Metzgerei irgendwann ein Ende hat, das Blut sprudelt und – so will es der religiöse Irrsinn – Leben und Ehre gerettet sind. Ein blutverflecktes Tuch geht an die Mutter, es bezeugt unmissverständlich, dass sie eine »anständige« Tochter großgezogen hat. Das andere Tuch erhält der Ehemann, als Trophäe, als lebenslängliches Zeugnis, dass sich keiner vor ihm an seiner Frau zu schaffen gemacht hatte.
    Magdi klärt mich auf. Wäre bis zuletzt kein Blut zum Vorschein gekommen, es hätte drei Möglichkeiten gegeben. Erste: Der Ehemann schneidet seiner Frau den Hals durch, tränkt die weißen Tücher im Blut der Toten, gibt ein Tuch dem Vater. Zweite: Schafft der Gatte den Mord nicht, übernimmt der Schwiegervater die Aufgabe. Letzte Möglichkeit: Hat sich die Familie bereits zu einer höheren Zivilisationsstufe durchgerungen, zieht sie weg. Kein Mensch, kein Nachbar würde sie mehr achten. Nur der Tod der »Hure« rettet die Ehre des Vaters. Ein Wegzug rettet sie nicht, aber die Schande ist zumindest am neuen Ort nicht bekannt. Magdi, so sagt er, wäre auf und davon.
    Wohlgemerkt, der Einundvierzigjährige, dem ich gerade gegenübersitze, ist ein charmanter Mann, Akademiker, christlichen Glaubens, mehrsprachig, witzig und weltoffen. Kein bellender Fundamentalist mit stechenden Augen und dem Zottelbart eines surenleiernden Gotteskriegers. Ich ertappe mich einmal mehr, wie ich außen und innen verwechsle.
    Die Story ist noch nicht zu Ende. Jetzt kommen die Abgründe der Widersprüche und Heuchelei. Nach
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