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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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Klimaanlage atmen, immer durch eine aufgehaltene Tür ins Freie spazieren dürfen.
    Der sechsundzwanzigjährige Ko aus Hongkong war der andere Antragsteller, so war Zeit, uns kennenzulernen. Breitschultrig, schnelle Augen, ein Ziegenbart, der heftig zittert, wenn er scheu wie eine Ziege lacht. Ein erstaunlicher Bursche. Von Beruf Unterwasserschweißer, irgendwann fing er an zu sparen, seit zwei Jahren und fünf Monaten ist er nun mit dem Fahrrad unterwegs. Was besonders an ihm gefällt, ist sein beschwingter Pessimismus. Ein menschenfreundlicher Zeitgenosse, der an absolut nichts glaubt.
    Wir sitzen am Straßenrand und wiederholen die Gräuelmärchen, die über den Visum-Service der sudanesischen Botschaft zirkulieren: Nicht Wochen, sondern Monate soll es dauern. Oder nie funktionieren. Denn das Land wäre an Fremden nicht interessiert, an westlichen Fremden am allerwenigsten. Ich erinnere mich an das so erstaunte Gesicht des Beamten, der meinen Antrag entgegennahm. Er schien nicht zu fassen, dass jemand in sein Land will, das hundsgemein arm ist, einen für alle Seiten aussichtslosen Bürgerkrieg führt und von der Hälfte der Menschheit als »Terroristenstaat« beschimpft wird.
    Die Märchen machen Eindruck auf uns. Wir sprinten zum Air Egypt Office und erfahren, dass es für morgen Abend noch Plätze für einen Flug nach Nairobi gebe. Wir reservieren. Sprint zur ugandischen Botschaft. Denn durch dieses Land müssten wir ebenfalls, um in die Zentralafrikanische Republik zu gelangen. Ein Wunder: Schriftlich ein paar Fragen beantworten, zwei Fotos und zehn Dollar dalassen. Und wir kommen abends zurück, bekommen die Stempel, setzen uns wieder an den Straßenrand und beschließen, dass wir doch auf das Visum für den Sudan warten werden. Weil etwas, das sich so störrisch widersetzt, mehr Aufregung und Geheimnis verspricht als die so umstandslos erreichbare Hauptstadt Kenias. Ko meckert glücklich, ich bin dankbar für seine Kraft. Ohne seinen Enthusiasmus hätten wir anders entschieden.
    Hermann Hesse notierte einmal, dass das Weggehen von zu Hause so schwer falle. Das Wegsein aber leicht sei. Sich aufraffen hinterm Ofen und den Rucksack schnüren, das sei der herausforderndste Willensakt. Sei man aber einmal unterwegs, habe man einmal die Gesetze der Trägheit überlistet, dann fühle man sich beschützt, werde angetrieben von seiner Wissbegier und der Gewissheit, bis zum letzten Tag durchzuhalten. Karl Kraus, nie verlegen um einen gemeinen Satz, formulierte es knapper: »Nach Ägypten wär’s nicht so weit. Aber bis man zum Südbahnhof kommt.« Wie anspornend. Denn jetzt bin ich in Ägypten, und jetzt werde ich das andere Ende von Afrika erreichen.
    Ich fahre zu den Pyramiden. Als ich ankomme, sind die offiziellen Besuchszeiten schon vorbei. Das will nichts sagen, inoffiziell geht es in Ägypten fast immer weiter. Hassan spricht mich an, er gehört zu den Heerscharen von »guides«, die mitverdienen wollen an einem der sieben Weltwunder. Hassan ist sozusagen nichtamtlich hier tätig. Somit muss er nicht nur Geld an seine Familie abgeben, sondern auch an die diskret herumstehende »tourist police« und »secret police«. Damit er ungestört Besucher herumführen darf. Wir wandern durch die Gräber der Sklaven, die hier vor siebenundvierzig Jahrhunderten den Geist aufgaben. Aus Erschöpfung, so ist zu vermuten.
    Es ist Nacht, und durch die Treppen und Schächte, in die wir hinabsteigen, dringt nicht einmal der strahlende Vollmond. Irgendwann entzündet Hassan direkt vor meinem Gesicht ein Zündholz und gesteht, dass er noch einen Nebenberuf habe. Wenn Interesse bestehe, würde er die Herumgeführten auch beschlafen. Oder sich von ihnen – Hassan kann sich für beide Geschlechter begeistern – beschlafen lassen. Er würde dann einfach die Gruppe vorausschicken und hurtig neben oder auf einem Sarkophag die Kundschaft bedienen: »You know, quick business.« Die ausländischen Damen würde er kostenlos versorgen, die Herren müssten ein paar Scheine dalassen. Auch mit mir könnte er sich ein »Ficki-Ficki« – der liebe Dicke kennt die wichtigeren Wörter in fünf verschiedenen Sprachen – gleich jetzt, selbst zu vorgerückter Stunde, vorstellen. Ich brauchte nur ja sagen und er würde loslegen.
    Ach, wie ich diesen Erdteil liebe. Die Heimlichkeiten, die nie zu unterdrückenden Sehnsüchte, die findigen Auswege, um an die Erfüllung der Sehnsüchte heranzukommen.
    Mit dem Bus zurück in die Stadt. Durch das Fenster
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