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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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Besuch, der es geschafft hat, einer, der davongekommen ist.
    Weiterwandern, irgendwann brauche ich eine Toilette. Jemand deutet vage die Richtung, und ich muss die letzten fünfzig Meter nur meinem Geruchssinn vertrauen. Aber ich verzichte, denn der öffentliche Abtritt ist nicht betretbar. Ein paar Schritte daneben wird eine Moschee gebaut, die Arbeiter laden mich zu einer Tasse Tee ein, ich verteile ein paar Zigaretten, sie führen mich durch den Rohbau. Das Licht der Nachmittagssonne, das durch die Dachbalken scheint. Vom ersten Stock fällt mein Blick auf die gerade passierte Gasse, von hier aus sieht sie noch dramatischer aus, eine Abfallschlucht. Da bleiben ein paar simple Nebengedanken nicht aus: Das Einrichten einer funktionierenden Müllabfuhr wäre vielleicht dringlicher als ein nagelneues, x-tes »Gotteshaus«. (Lassen wir es bei dem Begriff.) Ein Klo statt einer Kloake, auch das stünde der Menschenwürde nicht im Weg. Oder Wohnungen mit Wasser und Wasserhähnen, gar eine Schule. Die wäre zudem billiger. Aber das hieße zweifeln lernen, Fragen stellen, Unruhe aushalten, eben »warum« fragen und ein so zwiespältiges Gut wie Neugierde fördern.
    Das sind gottlose Gedanken, und wohl die falschen. Denn das Betreten einer Moschee – oder einer Kirche oder eines Tempels – hilft ja dabei, auf so vieles zu verzichten. Keine Kanalisation der Welt ersetzt dem Gläubigen seine Sehnsucht nach Gott. Und solange diese Illusion gelingt, so lange wird er die Zumutungen seines Lebens hinnehmen.
    Stunden später komme ich an der Fatima-al-Nabawiya-Moschee vorbei. Und eine Lehrstunde fängt an, rein zufällig. Eine Lehrstunde darüber, wie verbissen die einen wie die anderen auf ihren religiösen Rechten bestehen. Said – erst hinterher erfahre ich den Namen des Wüstlings – will hinein und beten. Aber drei Frauen lassen ihn nicht. Seine Füße seien zu schmutzig. So vergrindet, dass auch die obligatorische Waschung sie nicht reinigen könne. Das Verbot will Said nicht kümmern, er holt aus, legt sich mit allen drei Hausmeisterinnen an. Aber wie. Haarereißen, Bauchschwinger, Fausthiebe. Von beiden Seiten, die vier lassen sich nichts gefallen, orchestrieren mit ihren schrillen, Ehre und Prinzip verteidigenden Stimmen jeden Angriff. Nicht weit vom Schauplatz entfernt steht ein fliegender Händler mit seinem fahrbaren Laden, um Tee und Kaffee zu kochen. Said stürzt auf ihn zu, schmettert die Gläser zu Boden, reißt mit bloßen (!) Händen die glühende Kohle heraus und stürzt zurück zu den Frauen. Unübersehbar, die Raserei macht ihn fühllos. Aber er verliert die Glut, rennt zurück und packt den Kessel mit dem brühheißen Wasser, will es – gemeinsam mit den zornrasenden Beleidigungen und Flüchen, die er ihnen schon von Weitem entgegenschleudert – in die Gesichter seiner Feindinnen schütten.
    Aber der Gute tritt auf, Mohamed, der arme Besitzer von zwölf (zerbrochenen) Teegläsern, ein paar Kilo Kohle und dem Kessel mit dem siedend heißen Wasser. Und wie ein von aller Furcht verlassener Held wirft er sich zwischen die drei (runden) Löwinnen und den (dünnen) Raser. Und Said – durch eine gewitzte Körpertäuschung genarrt – holt in die falsche Richtung aus, die Brühe geht daneben. Was nichts heißen will, ein dritter bewaffneter Angriff folgt sofort, der Genarrte findet eine Holzlatte und visiert schon im Laufschritt seine Opfer an. Und wieder – man will nicht glauben, was man sieht – wirft sich Mohamed vor die Frauen und nimmt den Kampf auf.
    Bis keine drei Minuten später der Spuk vorüber ist. Saids Bewegungen werden schlagartig langsamer, hören ganz auf. Als wäre der Wahnsinn aus ihm gewichen, steht er auf, holt einen Besen, kehrt die Verwüstung zusammen, redet linkisch und sanft zu den Frauen, ja, legt einer die Hand auf die Schulter und bittet um Verzeihung. Said, so sagt es Mohamed, kommt gelegentlich der Verstand abhanden, ansonsten aber »no problem, no problem«.
    Ich bemerke plötzlich, nichts zur Beruhigung der Lage beigetragen zu haben. So gefesselt starrte ich hin. Um mein Gewissen zu besänftigen, suche ich eine Apotheke, besorge Jodsalbe, Verband, Aspirin und Pflaster. Um zwei blutende Löwinnen zu verarzten.
    Auf dem Weg zurück zum Hotel komme ich an drei jungen Ägypterinnen vorbei. Mir fällt wieder ein, dass sie alle von Nofretete abstammen, so verwirrend schön sind die Linien ihrer Körper. Und ich verstehe einmal mehr nicht, warum die meisten von ihnen dieses
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