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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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phänomenale Geschenk, diesen Ausdruck von schier göttlicher Macht so bald, so gleichmütig verwittern lassen. Weil vom künftigen Ehemann ähnlich bald, ähnlich gleichmütig zur Kenntnis genommen? (Statt täglich gepriesen und verherrlicht?) Weil zahlreiche Babys ausgetragen werden, werden müssen? Weil Schönheit nur als Mittel der Verführung taugen soll und nach der Verführung zu nichts mehr nütze ist? Sie eben kugelrund und kugelrunder werden dürfen? Rätsel, Rätsel.
    Mir fallen ein paar Sätze von Magdi ein. Ich fragte ihn, warum solche Kinderfluten das Land heimsuchten. Da doch jeder weiß, dass auf viele keine Schule, keine Ausbildung, keine Arbeit, kein Leben wartet. Und Magdi zählte trocken sieben Punkte auf: 1) Jede Glaubensgemeinschaft – Moslems wie Christen – will so viele Nachkommen wie möglich. Um die eigene Religion zu behaupten. 2) Der moslemische und der christliche Mann verlässt die Frau, sobald sie als zuverlässige Gebärmaschine stockt. 3) Die Frau bringt nur Mädchen zur Welt. Dann wird sie eben so lange weiter gebären, bis ein Junge zum Vorschein kommt. 4) Ein Moslem kann bis zu vier Frauen heiraten. Und die fruchtbarste ist die Lieblingsfrau. 5) Auf dem Dorf gilt: Je mehr Kinder, um so mehr zupackende Hände bei der Landwirtschaft. 6) Kinder sind ein Geschenk Gottes. Viele Kinder, viele Geschenke Gottes. 7) Nacktes Potenzprotzen. Je zahlreicher die Kinderschar, um so strahlender der Ruhm des Vaters.
    Sicher ist das rigoros formuliert. Zudem ist die Polygamie offiziell verboten. Und in der ägyptischen Mittelschicht bewegen sich die Zustände, Einsicht für Familienplanung macht sich breit. Und die Regierung investiert gewaltig, um das Volk, sprich die zeugungsversessenen Männer, von der Klugheit gewisser Beschränkungen zu überzeugen. Nur, die beharrlichen Erzfeinde der Klugheit, sie halten sich zäh: »Gottes Wort«, allerletzte Weisheiten, standhafte Ignoranz.
    Ich will von einem »Bild« berichten. Vor Tagen war ich in Al-Muqattam, einer Gegend, in der vor allem die Zabbalin leben, die Müllmänner der Stadt. Bei achttausend Tonnen Abfall pro Tag sind sie beschäftigt. Früher mit Eselskarren, heute mit Toyota Pick-ups unterwegs, verlassen sie um drei Uhr früh ihre Quartiere, sammeln den Unrat der Stadt und bringen ihn zu sich nach Hause. Dort abladen, sich hineinsetzen und – jeder der Familie muss ran – aussortieren, Plastik, Glas, Blech, Stoff, Karton, was immer taugt zum Wiederverkauf. Nur wer durch die Straßen und Hinterhöfe der Zabbalin mit dem infernalischen Gestank und den ein oder zwei Milliarden Fliegen gegangen ist, mag eine leise Ahnung vom Dasein dieser Zwanzigtausend bekommen.
    Das ist nicht das Bild, das kommt jetzt. Am Ende des Slums liegt der »Ofen«, hier verbrennen sie alles, was nicht verwertbar ist: Ein riesiger Platz, eingekesselt von den Felswänden des Muqattam, bedeckt mit Kot, toten Tieren, Tierskeletten, verschimmelndem Gemüse, fauligem Brot. Und ausgebrannten Autowracks, aus denen Stichflammen züngeln. Dazwischen flitzen Ratten, streunen dürre Hunde und dürre Katzen. Und alles verfinstert von einer haushohen Rauchfahne, die ein fauchender Wind in den Himmel jagt. Und mittendrin steht ein vielleicht zehnjähriges Kind auf einem brüchigen, ächzend mit Müll und Kadavern überladenen Gefährt, in der Linken die Zügel, in der Rechten einen Prügel, mit dem es auf den bockigen Zugesel ausholt. Und zwei andere Zehnjährige, ein Mädchen und ein Junge, reißen am Zaumzeug, zwingen das schrill vor Schmerz und Erschöpfung stöhnende Tier, das letzte Stück der Rampe hinaufzuwanken.
    Ein Bild von den letzten Tagen der Menschheit. Keinen Einspruch duldend, erzählt es von der gnadenlos vergeudeten Kraft von Kindern, die keine Chance haben. Als ich später mit den dreien spreche, wird klar, dass sie noch nie etwas anderes im Leben gesehen haben. Kairo nur als Schweinegatter, Fliegenpest und in alle vier Himmelsrichtungen stinkenden Abfallhaufen kennen. Und keinem Betrachter wird der Widerspruch entgehen zwischen den Fetzen, die an ihren kindlichen Körpern hängen, und den betörend schönen Gesichtern. Mit Augen, die den Eindruck vermitteln, als hätten sie so vieles begriffen.
    Die letzten Tage verbringe ich mit Ehab. Ein Neunundzwanzigjähriger, der vor zwei Jahren sein Studium als Betriebswirt abschloss, und seitdem – muss es noch erwähnt werden? – Arbeit sucht. Deshalb spricht er Fremde an, die nach Geld aussehen, also Jobs zu
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