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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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vergeben haben. Da grundsätzlich alle Westler als schwerreich gelten, bin ich an der Reihe, denn wir zwei sitzen zufällig im selben Café. Ehab mag ich von Anfang an, denn höflich und geheimnisvoll spricht er mich an: »What is your name?« Und ich, augenblicklich lieber allein, antworte zerstreut: »My name is of no interest.« Und Ehab, entwaffnend: »It is, because I want to have a relationship with you.« Und so sei es, was immer er sich unter einer Beziehung vorstellte, wir haben eine.
    Der witzige Ehab, ein echter Überleber. Eine seiner letzteren Taten war, den Zusammenbruch seiner Familie zu verhindern. Die Schwester wurde unverheiratet schwanger, der ältere Bruder Sayed zog wegen der Schmach aus der elterlichen Wohnung, und die Eltern waren dabei, den Verstand zu verlieren. Doch Ehab rettete den Hausfrieden, indem er den Freund der Schwester bekniete (wörtlich) und zur Heirat bekehrte. Worauf Mutter und Vater wieder ihren Verstand fanden, der Bruder wieder unterm selben Dach schläft und Ehab wieder auf die Straßen Kairos zurückkehren konnte, um sich seiner Hauptbeschäftigung zuzuwenden, dem Organisieren von fluus , arabisch für alles, was wie Geld aussieht.
    Wir kommen bestens miteinander aus. Obwohl mir der junge Kerl gehörig Angst macht, wieder wörtlich: »Es tut mir leid, sogar sehr leid, aber du wirst zur Hölle fahren.« Da ich nicht Allah anbete, sondern den lieben Gott. Anbetete, denn auch als Exchrist könne ich die Höllenfahrt nicht mehr verhindern. Nur die Liebe zu Allah garantiere den freien Zugang zum Paradies, wo, Ehab senkt vertraulich die Stimme, »schönste Geschöpfe, immer verfüglich« meiner harrten.
    Wie viele andere mutmaßt er, dass ich – zusätzlich zum Wagenpark und meiner mit Dollarnoten vollgestopften Villa – ununterbrochen neben teuflisch gut aussehenden Damen meine Nächte verbringe. Da bei zugänglichen Damen liegen nichts anderes bedeuten kann als sündige Lüsternheit, muss ich dafür eine Ewigkeit schmoren. Während die Reingläubigen für ihre aufrichtige Verteufelung der Lust nachher – nach dem Leben – eine Ewigkeit lang mit Heerscharen paradiesisch lockender Nymphen belohnt würden.
    Ich höre mit Genugtuung solche Geschichten. Weil sie von unseren Anstrengungen berichten, der Wirklichkeit aus dem Weg zu gehen. Wie mich Ehabs Stuss an den eigenen Religionsunterricht erinnert. Dabei wäre vieles so einfach, Jean Cocteau hat es längst aufgeschrieben: »Une érection ne se discute pas!«, über eine Erektion lässt sich nicht diskutieren, sie ist da, sprich: Die Natur hat sie – die Erregung, die Wollust, den Rausch – gezaubert, und keine Moral im Weltall wird sie zum Verschwinden bringen. Ehab leidet, da er mit seinen zahlreichen Erektionen nicht an die Schönheiten seines Landes rankommt. Statt das Leiden zuzugeben und – als Rettung – das System zu unterlaufen, stellt er sich in die Reihe der Verteufler. Jene sexlosen Monster, die nichts anderes im Kopf haben als splitternackten Hirnsex und von keinem anderen Heilversuch wissen, als darauf zu spucken.
    Aber Ehabs Fall ist komplizierter. Je länger wir durch die Cafés der Stadt ziehen, um so inniger gibt er sich preis. Erzählt von dem Ekel, der ihn überkommt, wenn er mit einer Frau (das wäre eine Hure) zusammen ist. Hinterher überkommt, wenn »er es hinter sich hat«. Einmal Ekel an sich und einmal der Ekel der Schuld, die er gerade angehäuft hat, da gesündigt, da blindlings der Gier verfallen. So redet er. Nie spricht er Wörter wie Hingabe oder Freude oder Staunen aus. Nie, scheint es, gerät bei ihm der Begriff Sexualität in die Nähe von Wärme, Freude, Bedenkenlosigkeit. Obwohl sie ihn wie nichts anderes fasziniert. Wie sich Religionen ähneln, wie sie Männer großziehen, die linkisch über ihre Frauen herfallen und abwesend und hurtig wie Dinosaurier ihr Geschäft zu Ende bringen. Wie nah ich mich Ehab fühle. Weiß ich doch als Exkatholik, welch Beschwerlichkeiten einer auf sich nehmen muss, um den spirituellen Schrott der Geiferer in sich zu entsorgen. Als wir uns verabschieden, denke ich, dass er ein feiner Kerl ist, trotz der Verwirrung im Kopf. Er kämpft und er will raus. Und hier rauswollen ist anstrengender als anderswo.
    Schon möglich, dass ich Ehab und alle seine Worte vergessen werde. Aber ein Satz wird mich begleiten bis aufs Totenbett. Denn er klingt sensationell und unerforschlich. Irgendwann, mitten in einer unserer Diskussionen, feuerte er ihn ab: »Sex makes Him
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