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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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angry.« (Him wäre Allah, der Weltenherrscher.) Für solche Nachrichten gibt es ein Heilmittel, wieder ein Satz, ich las ihn vor Jahren als Graffiti auf der Mauer einer mexikanischen Kirche: »Was ist der Unterschied zwischen Dummheit und Genie? Genie hat Grenzen!«

Auf und davon
    Ich will weg aus Kairo. Um nicht infiziert zu werden von der Lust, nur seine Geschichten zu erzählen. Neben der Grabstätte eines Marabut liest mir eine Alte die Handlinien. Sie soll sagen, was ich machen soll. Natürlich entdeckt sie ein Problem, versichert aber sofort, dass Allah helfen werde. Am nächsten Tag gehe ich zur sudanesischen Botschaft und erfahre, dass mein Visum bereits vorliegt. Der Herr hat geholfen, aber wie.
    Ramses Station, ich nehme den Zug Richtung Süden, Richtung Sudan. Tausend Kilometer Kino liegen vor mir, tausend Kilometer Orient spielen rechts und links. Ein Mann läuft neben einem motorisierten Vehikel her, zwischen seinen Händen liegt ein Stein. Muss der Fahrer bremsen, gibt er ein Zeichen, und sein Freund wirft den Brocken vor das rechte Vorderrad. Eine sogenannte Steinbremse, made in Cairo. Vorbei an Kaffeehäusern und zehntausend Dominospielern. Vorbei an einem Schrankenwärter, der vor seinem Häuschen zum Gebet niederkniet. Vorbei an seinem Nachbarn, der drei Meter daneben in stiller Hocke sein morgendliches Geschäft erledigt und anschließend ein bisschen Gras rupft. Der Zug kriecht aus der Stadt, für jedes Detail ist Zeit.
    Ist Kairo zu Ende, sieht die Welt zweitausend Jahre jünger aus. Überall uraltes Morgenland. Ein Esel am Brunnenrad. Das Stroh auf den Dächern. Die Ziegen im Hausflur. Die Gänse, die Wasserbüffel, die schlafenden Kühe, die Bauern auf den Feldern. Die Alten, die Teetrinker, die Pfeifenraucher. Dasitzen und auf nichts warten. Dasitzen und nie fürchten, Zeit zu verlieren. Ein anderes, unbegreifliches Leben.
    Zwischendurch röhrt es. Das Morgenland hört auf, die Neuzeit beginnt, die »Pharaonen-Rallye« jault durch die Bibellandschaft. Knapp hundert Vollgasdeppen auf der Jagd zur nächsten Pyramide. Das atmet, so lese ich auf einem mächtigen Spoiler, den »Spirit of Adventure«. Indira Gandhi behauptete einmal, dass »der größte Feind der Umwelt die Armut« wäre. Nonsens. Ihr größter Feind ist der Reichtum.
    Absurd. Nach den Deppen kommen ganz normale Busse, voll mit ganz normalen Reisenden. Aber wie. Als jagten sie den Rasern hinterher. Mit Dauerhupe orgeln sie durch die Dörfer, um Mensch und Tier zu verscheuchen. Einmal sehe ich zwei Busse nebeneinander einen dritten überholen, eiskalt, mitten durch eine Stadt. Unergründliches Menschenherz.
    Ein Passagier setzt sich neben mich. Wir kommen ins Gespräch, der junge Ashraf arbeitet als Arzt, leistet gerade sein Pflichtjahr in der Provinz ab. Er hat nur einen Job: Gemeinsam mit einer Krankenschwester das ägyptische Volk zur Geburtenregelung zu überreden. Nicht ohne gewisse Erfolge. Wenn auch so seltsame Gerüchte zirkulieren, dass das Intrauterinpessar – am verbreitetsten – vom Muttermund zum Herzen wandert und es tötet.
    Als Ashraf von den Widerständen berichtet, die es bei ägyptischen Männern zu überwinden gibt, um sie zu mehr Bescheidenheit in Sachen Männlichkeitswahn zu überreden, fällt unser Blick auf einen Vater, der mit seinem Baby auf einem Balkon steht, keine zehn Meter vom Gleis entfernt. Hinter ihm in der schmalen Wohnung wuselt der bereits zahlreich produzierte Nachwuchs. Um ihn herum eine Welt aus Kot und Müll. Löcher in den Häusern, die durchgerosteten Abflussrohre, der Mietsbunker in der Mitte eines trüben Tümpels. Alle acht Monate drängeln in Ägypten eine Million Menschen mehr. Habe ich den Satz zu Ende geschrieben, sind es alle sieben Monate und neunundzwanzig Tage. Logischerweise wohnt der Mann in einem Haus mit einem flachen Dach, aus dem an verschiedenen Seiten Eisenstränge ragen, sicheres Zeichen, dass in Bälde ein neues Stockwerk fällig ist. Das Baugewerbe im Wettlauf mit der Geburtenexplosion. Für Ashraf liegt Arbeit an.
    Später zieht ein beinloser Krüppel durch den Gang, »Gott gibt, Gott gibt« krächzend, die grindigen Hände ausstreckend. Beneidenswert der Glaube von einem, der nichts mehr hat, nicht einmal seine Füße. Und der trotzdem nicht aufhört, es laut in die Welt zu posaunen, dass ein Gott existiert, der sich seiner annimmt.
    Der Abend kommt, die rote Sonne vergeht zwischen den Palmen, die ersten Lichter brennen, die Welt ist jetzt behutsamer beleuchtet.
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