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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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hinwegzugleiten.
    Und noch etwas: Nie könnte es heißen »Tausendundein Tag«. Die besten Geschichten kommen in Arabien nachts zur Welt. Und wenn tagsüber, dann in schummrigen Kaschemmen, in verrauchten Hinterzimmern, im Schutze vertraulicher Dunkelheit.
    Und ein Drittes: In meinem neunhundertneunundvierzig Seiten starken Lexikon kommt das Wort »why« nicht vor. Nicht auf Englisch, nicht auf Arabisch. »Warum« etwas so ist, das scheint nicht so wichtig. Es ist so, so ist es, inch’Allah .
    Am nächsten Morgen steckt mir der Rezeptionist Le Progrès Égyptien zu und beantwortet die Frage, die ich ihm gestern stellte. Ich wollte wissen, wie viele Sterne das Etablissement habe. Er wusste es nicht, wollte sich erst bei seinem Chef erkundigen. Und der Chef ließ ausrichten: Nicht »five star«, sondern »half star«, einen halben hätten sie schon. Das könnte hinkommen.
    In einem Kairoer Café an einem warmen Herbstmorgen frühstücken und die Zeitung durchblättern, das ist ein sinnliches Vergnügen. Lesen, denken, nachdenken, hinausschauen auf die Welt.
    Später betritt ein Mann das Café, ein ambulanter Schuhputzer. Ich blicke auf meine Stiefel und bitte ihn herüber. Ohne quälendes Gewissen. Das bin ich vor Jahren an einer Bushaltestelle in Peru losgeworden. Damals war ich noch edel und sah den Schuhputzer als Beute reicher Säcke, die sich öffentlich ihr feines Leder wienern lassen. An jenem Abend beobachtete ich Pedro mit der Bürste gegen seine Holzbox klappern, von einem Passagier zum nächsten streichend. Und keiner willigte ein. Und Pedro hatte Hunger. Als ich ihm ein paar Soles hinstreckte, lehnte er ab. Er wollte arbeiten, keine Almosen. So begriff ich meinen Edelmut als ein eitles Luxusgefühl, begriff, dass ich die Welt und ihre Verhältnisse nicht aus den Angeln heben konnte. Begriff sogar, dass ich vielleicht mitschuldig war an Pedros Misere, aber dass augenblicklich weder meine Schuld noch meine edle Seele das konkrete Problem lösen würden. Also bat ich den jungen Kerl, mir die Stiefel zu bürsten. Und während Pedro arbeitete, redeten wir. Easy, freundlich, ganz konkret. Und ich machte keinen Fehler, vermied auf Teufel komm raus den ranzigen Pfaffenton des Dritte-Welt-Bewegten.
    Ich komme am Zeitungskiosk eines noblen Hotels vorbei und die Götter schenken mir ein wunderschönes Bild. Ein kolossal fettes, weißes, schwer mit den Insignien nutzlosen Reichtums behangenes Weib beugt sich nach vorne und greift nach dem neuen Cosmopolitan -Heft. Und starrt hingegeben auf das Cover, man erkennt sofort, dass sie etwas gefunden hat, was schmerzhaft fehlt in ihrem Leben, da steht, dickbalkig: »How to have magical sex«.
    Zur Sudanesischen Botschaft. Da ich in den Süden will, brauche ich ein Visum. Ich erfahre, dass ich von meiner eigenen Botschaft noch einen »letter of recommendation«, ein Empfehlungsschreiben, benötige. Das ist witzig: Meine Regierung muss der sudanesischen meine Anwesenheit in ihrem Land empfehlen. Als ich kurz vor zwölf Uhr – fünf klein bedruckte Formulare ausfüllen dauert – das Gebäude verlassen will, geschieht etwas Seltsames. Jemand sperrt von außen die Tür zu, hinter der sich die Antragsteller befinden. Wir sind zu zweit – so viele wollen nicht in den Sudan – und müssen uns lautstark bemerkbar machen. Bis aus einer anderen Tür, sie führt in weitere Räume des Hauses, drei Mann Botschaftspersonal kommen. Das heißt, sie sehen uns durch eine ebenfalls verschlossene Gittertür. Großes Tohuwabohu, irgendwann kommt ein monströser Schlüsselbund zum Vorschein, irgendwann passt ein Schlüssel, die drei kommen durch. Was nicht weiterhilft, denn jetzt sind wir zu fünft im Wartezimmer. Also wird ein zweiter monströser Schlüsselbund ausfindig gemacht, um die Außentür (von innen) zu öffnen. Wie im richtigen Leben passt der vorletzte von siebzehn Schlüsseln.
    Darf man ahnen, dass dieses Land in etwa so funktioniert? Eben nicht funktioniert, weil bereits gewaltige Energiemassen plus ein halbes Dutzend Männer und Frauen zum Einsatz kommen müssen, um zwei Türen zu öffnen? Weil das Bearbeiten eines Visums mindestens – so wurde versichert – drei Wochen dauert?
    Als wir aus dem stickigen Raum hinaus ins schöne Licht treten, fährt gerade ein hellweiß strahlender Mercedes mit der sudanesischen Standarte vor. Wie oft habe ich auf Reisen von einem Dasein als Botschafter geträumt: Nie um ein Visum betteln müssen, vierundzwanzig Stunden lang in Reichweite einer
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