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Leonardos Drachen

Leonardos Drachen

Titel: Leonardos Drachen
Autoren: Alfred Bekker
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dieser Ort ja, sich doch genauer zu erinnern. Vor seinem inneren Auge sah er das Gesicht des Reiters mit dem blauen Umhang.
    „Denk nicht länger darüber nach!“, meinte Clarissa. „Es geht dir wahrscheinlich genauso wie mir. Man grübelt die ganze Zeit darüber nach, ob einem nicht doch noch irgendetwas einfallen könnte, was diese Banditen Besonderes an sich hatten. Aber das ging alles so schnell   …“
    „Lass uns anfangen“, meinte Leonardo.
     
    S ie befestigten das Garn an dem Drachen. Leonardo hatte außerdem noch eine etwas dickere Schnur auf ein Stück Holz aufgerollt, falls sich das zwar dünne, aber doch sehr feste Garn als zu schwach erweisen sollte.
    „Wir beginnen mit dem kleineren Drachen“, sagte Leonardo. „Er ist leichter und müsste sich daher schneller in die Lüfte erheben.“
    „Aber er hat auch kleinere Flügel, die ihn tragen“, meinte Clarissa. „Aber du hast schon recht – es ist auch nicht ganz so schade, wenn er kaputtgeht!“
    Während Clarissa den Drachen in der Hand hielt, rollte Leonardo das Garn ab, dessen Ende am Gestänge befestigt war.
    „Man muss gegen den Wind ziehen!“, rief Leonardo.
    Das erschien Leonardo eigentlich widersinnig, aber genau so hatte Fra Branaguorno ihm eine der persischen Notizen auf den Blättern aus Cipanku übersetzt. Also wollte er es auch so versuchen. Und außerdem waren ihm dann die Beobachtungen in den Sinn gekommen, die er bei großen Greifvögeln gemacht hatte. Auch die stiegen gegen den Wind in die Höhe, wenn sie sich von einem hohen Felsen fallen ließen und dabei nichts weiter taten, als die Flügel auszubreiten.
    Der Wind war frisch und sicher stark genug, um einen Adler zu tragen. Warum nicht auch einen viel leichteren Drachen aus Papier und Holz?
    Nach einigen Metern blieb Leonardo stehen. „Lass ihn los, wenn ich ‚jetzt‘ sage!“, rief er Clarissa zu.
    Er zog am Garn, rief: „Jetzt!“
    Der Drachen stieg kurz und landete dann auf dem Boden. Glücklicherweise war er nicht beschädigt, da er ja noch kaum in die Höhe gelangt war. Sie versuchten es gleich noch einmal. Und noch einmal. „Leonardo, bist du sicher, dass das nicht doch nur eine Drachengeschichte mit Bildern war, die auf den Blättern aufgeschrieben wurde?“, maulte Clarissa.
    „Die Vögel lernen das auch nicht an einem Tag! Hast du mal beobachtet, wie Vogeleltern ihre Jungen aus dem Nest schubsen und ihnen das Fliegen beibringen? Sie zeigen es ihnen immer wieder, und die ersten Versuche der Jungen sehen auch nicht unbedingt so aus, als wären sie fürs Fliegen geboren!“
    „Sag mal, hast du eigentlich deine ganze bisherige Kindheit damit vergeudet, Tiere zu beobachten?“
    „Tiere – und anderes.“
    „Kein Wunder, dass du nicht richtig rechnen gelernt hast!“
     
    S ie versuchten es wieder und immer wieder. Der Drachen stieg dabei bei jedem Versuch tatsächlich auch etwas höher, und Leonardo fand heraus, dass es etwas half, wenn er zu Beginn des Fluges ein Stück rannte. Das gab zusätzlichen Schwung.
    Der Drachen hielt sich einige Augenblicke in der Luft, und die Papierstücke an seinem Schwanz erzeugten ein schnarrendes Geräusch. „Es hört sich an, als würde er fauchen“, dachte Leonardo. Doch dann begann der Drachen plötzlich hin und her zu schwenken und landete wenig später mit der Spitze zuerst am Boden.
    „Oh je!“, sagte Clarissa. „Da sind wohl ein paar Reparaturen nötig.“
    Das war nicht das Schlimmste! Das Garn, mit dem Leonardo den niedergehenden Drachen gehalten hatte, musste erst aus Dutzenden von kleinen Dornensträuchern befreit werden, bevor es wieder benutzt werden konnte.
     
    W ährend Leonardo und Clarissa damit beschäftigt waren, den Drachen wieder zu reparieren, war plötzlich Hufschlag zu hören.
    Ein Reiter kam über die Flussbrücke und ritt dann in vollem Galopp jenen Weg entlang, an dem der Hinterhalt auf den Stadtherren gelegt worden war.
    Leonardo bemerkte den dunkelblauen Umhang, der wie eine Fahne hinter dem Reiter herflatterte. Aus dieser Entfernung war das Gesicht zwar nur grob zu erkennen, aber Leonardo erkannte sofort die bräunliche, mit schwarzen Flecken durchzogene Fellzeichnung des Pferdes wieder. Und außerdem war das am Sattel festgeschnallte Bündel mit der Hakenbüchse deutlich zu sehen. Alles passte zusammen. „Das ist er!“, murmelte Leonardo.
    „Wer?“, wollte Clarissa wissen.
    „Der Reiter, der mich verfolgt hat!“
    „Wie meinst du das – verfolgt?“
    „Einen Augenblick!“, sagte
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