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Leonardos Drachen

Leonardos Drachen

Titel: Leonardos Drachen
Autoren: Alfred Bekker
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anschließend mit der Spitze vom Platz.
    Der Mann beschwerte sich. Ein Teil des Publikums war aufseiten des Spielers, dessen Hemd nur noch aus Fetzen bestand. „Immanuele, schlag den Schiedsrichter!“, rief ein Sprechchor von Getreuen aus seinem Viertel. Und nun erkannte Leonardo ihn auch. Es war Immanuele de’ Sarti, der auch auf dem Fest im Medici-Palast gewesen war und so scheinheilig den Stadtherrn hatte hochleben lassen.
    Dass sich so hohe Herren hier austobten, war nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil. Eigentlich waren nur Adelige spielberechtigt, neuerdings aber auch reiche Bürger. Seit die Feuerwaffen aufgekommen waren, ließ sich kaum noch ein Adeliger zum Ritter ausbilden, und so war der Calcio wohl so etwas wie ein Ersatz für die Ritterturniere. Selbst amtierende Stadtherren von Florenz, Bischöfe und sogar spätere Päpste hatten am Calcio teilgenommen, und Leonardo wusste, dass zum Beispiel Cosimo der Alte in seiner Jugend ein großer Spieler gewesen war. Das war auch immer eine gute Methode, um sich beim Volk beliebt zu machen. Für Piero de’ Medici bestand diese Möglichkeit natürlich aufgrund seiner Gichtanfälle nicht.
    Immanuele de’ Sarti schrie jetzt den Schiedsrichter an, der sein Schwert inzwischen gesenkt hatte. Beide Männer hatten einen hochroten Kopf. Man verstand kein Wort, weil ein ohrenbetäubender Lärm herrschte.
    Leonardo bemerkte plötzlich, dass der Reiter ihm tatsächlich auch hierher gefolgt war. Er überragte die Menge. Falkengleich sah er sich suchend um.
    In diesem Moment machte Immanuele de’ Sarti einen Schritt nach vorn und versetzte dem Schiedsrichter einen Faustschlag. Dieser Schlag war so schnell und heftig, dass der Schiedsrichter nicht einmal mit seinem Schwert noch etwas dagegen ausrichten konnte. Nun brach der Tumult völlig ungehemmt los. Ein Teil der Zuschauer war empört, ein anderer rief: „Das war nichts!“ Auf dem Platz entstand ein Handgemenge, das auch auf die Zuschauer übergriff. Leonardo nutzte die Gelegenheit. Er tauchte unter den quer gehaltenen Hellebarden der Wächter hindurch und rannte über das Spielfeld. Auch einige der Zuschauer hatten sich bereits dorthin vorgedrängelt, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Aber trotzdem war die Zahl der Personen in der Mitte des Platzes verhältnismäßig gering, verglichen mit den Rändern, wo sich die Zuschauer eigentlich aufhalten sollten und wo natürlich großes Gedränge herrschte. So kam Leonardo gut voran. Hier und da musste er dem Gerangel und dem erregten Handgemenge ausweichen. Er sah sich kurz um. Der Reiter im blauen Umhang blieb in der Menge stecken. Er hatte kaum eine Chance, Leonardo schnell genug zu folgen.
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes hatte sich der Zuschauerbereich bereits geleert. Alles stürmte nämlich in Richtung des Tors, vor dem Immanuele de’ Sarti den Schiedsrichter niedergeschlagen hatte.
    An der Ecke einer Nebenstraße drehte sich Leonardo zum letzten Mal um. Er rang nach Luft. „Geschafft!“, dachte er. Zumindest vorerst   …

Im Palast
    A ls Leonardo den Palast erreichte, stellte er fest, dass er den Bleistift verloren hatte. Aber das war nicht so schlimm. Fra Branaguorno, der auch um diese Zeit noch in der Bibliothek weilte, konnte ihm da gewiss aushelfen. Ohne Schwierigkeiten wurde Leonardo in den Palast eingelassen und schließlich zur Bibliothek geleitet.
    „Ich brauche auch noch Kopien der anderen Drachenbilder“, sagte Leonardo zu Fra Branaguorno, der wie üblich in ein altes Buch vertieft war. Soweit Leonardo sehen konnte, war es in griechischer Schrift geschrieben.
    Fra Branaguorno blickte auf. „Du bist ja völlig außer Atem, so als wäre der leibhaftige Teufel hinter dir her gewesen!“
    „Vielleicht war er das ja auch“, gab Leonardo zurück. Er setzte sich zu Fra Branaguorno an den Tisch und wartete, bis der Wächter, der Leonardo in das Kellergewölbe geleitet hatte, gegangen war. „Ihr seid doch ein Mönch.“
    „Das ist richtig.“
    „Habt Ihr auch die Weihen eines Priesters?“
    „Ja, die habe ich.“
    „Das bedeutet, Ihr dürft das, was Euch gebeichtet wird, unter keinen Umständen weitererzählen.“
    Fra Branaguorno nickte. „Das Beichtgeheimnis ist ein hohes Gut, das nicht verletzt werden darf“, bestätigte er.
    „Dann kann ich Euch erzählen, was geschehen ist. Aber ich will nicht, dass es sonst jemand erfährt. Auch nicht mein Vater oder gar meine Stiefmutter. Denn wenn sie davon erführen, würden sie alles
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